Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
erfasste sie wie ein Schluchzen.
Was hatte sie auch erwartet? Hätte es denn weniger sein können als ein so wildes, überschwängliches Gefühl? Noch nie war Alma von einem Mann berührt worden. Besser gesagt erst zwei Mal – das erste Mal im Frühling des Jahres1818 , als George Hawkes Almas Hand zwischen die seinen gedrückt und ihre Meisterschaft bei der Bedienung des Mikroskops gelobt hatte, und ein weiteres Mal im Jahre1848 , erneut von George, als dieser sich wegen Retta in Nöten befand –, doch in beiden Fällen war nur eine ihrer Hände wie versehentlich mit dem Körper eines Mannes in Kontakt geraten. Niemals hatte sich indessen eine auch nur annähernd vertrauliche oder gar intime Berührung ereignet. Über Jahrzehnte hinweg hatte Alma unzählige Male hinter dieser verriegelten Tür auf diesem Schemel gesessen, um mit gespreizten Schenkeln und über die Taille gezogenen Röcken, den Rücken an die Wand gepresst, so gut wie möglich von eigener Hand ihre Gelüste zu stillen. Falls sich die Moleküle in diesem Raum von den anderen Molekülen auf White Acre unterschieden – wenn nicht gar von denen der restlichen Welt –, dann wohl deshalb, weil sie als stete Zeugen von Almas lüsternem Tun und Treiben entsprechend aufgeladen waren. Und nun saß Alma hier, im vertrauten Dunkel dieser Kammer, ihrer Bindekammer, von aufgeladenen Molekülen umringt und allein mit einem zehn Jahre jüngeren Mann.
Was hätte sie gegen den Sturm der Liebe tun sollen?
»Horchen Sie auf meine Frage«, sagte Ambrose, dessen Finger Almas Hände leicht umfingen. »Und dann stellen Sie mir die Ihre. Weiterer Worte wird es nicht bedürfen. Sobald wir uns gehört haben, werden wir beide es wissen.«
Ambrose verstärkte den Druck seiner Hände. Sofort strömte ein wundervolles Gefühl durch Almas Arme.
Wie konnte sie dieses Erlebnis verlängern?
Schon deshalb überlegte Alma, Ambrose glauben zu lassen, sie läse tatsächlich seine Gedanken; zudem dachte sie darüber nach, ob es eine Möglichkeit gab, ein solches Beisammensein in Zukunft zu wiederholen. Doch was wäre, wenn man sie hier entdeckte? Was würden die Leute sagen? Was würden sie von Ambrose denken, dessen Absichten wie immer von größter Reinheit und Unverdorbenheit zu sein schienen? Er würde wie ein Wüstling dastehen. Man würde ihn davonjagen. Und auch ihr brächte es Schande.
Nein, Alma begriff, dass es kein zweites Mal geben würde. Dies sollte der eine Moment ihres Lebens sein, in dem sich Männerhände um die ihren legten.
Sie schloss die Augen und lehnte sich zurück, bis das ganze Gewicht ihres Rückens gegen die Wand drückte. Er löste seinen Griff nicht. Ihre Knie streiften beinahe die seinen. Einige Zeit verstrich. Zehn Minuten? Eine halbe Stunde? Sie schwelgte im Genuss seiner Berührung. Sie nahm sich vor, das alles nie wieder zu vergessen.
Das angenehme Gefühl, das in ihren Handtellern seinen Ausgang genommen hatte und durch die Arme aufwärts gewandert war, drang nun weiter in ihren Oberkörper vor, um sich schließlich zwischen den Beinen zu bündeln. Hatte sie etwas anderes erwartet? Ihr Körper war wie abgerichtet auf diesen Raum – und nun gab es zudem einen neuen, zusätzlichen Reiz. Eine Zeitlang erwehrte sie sich des Gefühls. Dankbar nahm sie zur Kenntnis, dass auch ihr Gesicht im Dunkeln lag, denn jeder Lichtschimmer hätte eine glühende Grimasse offenbart. Obgleich sie selbst diesen Moment gewissermaßen erzwungen hatte, konnte sie es kaum glauben: Ihr gegenüber saß tatsächlich ein Mann, hier, in der Dunkelheit der Bindekammer, mitten in ihrem Allerheiligsten.
Alma bemühte sich, gleichmäßig zu atmen. Noch widerstand sie ihren Empfindungen, doch der Widerstand schien das zwischen ihren Beinen erwachte Gefühl der Lust zu begünstigen. Es gibt ein holländisches Wort, uitwaaien , welches so viel bedeutet wie aus Lust gegen den Wind anrennen . Genauso empfand sie es. Ohne ihren Körper zu bewegen, stemmte sich Alma mit ganzer Kraft gegen den immer kräftiger blasenden Wind, der sie mit gleicher Wucht zurückdrängte, was ihre Lust von Mal zu Mal steigerte.
Wieder verging Zeit. Abermals zehn Minuten? Eine halbe Stunde? Ambrose rührte sich nicht. Auch Alma bewegte sich nicht. Seine Hände verrieten nichts, nicht das leiseste Beben. Und doch war Alma erfüllt von ihm. Sie konnte ihn überall spüren, in ihrem Inneren wie auch um sie herum. Sie fühlte, wie er die Härchen in ihrem Genick zählte und die Nervenbündel am unteren
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