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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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stattlich wie Alma selbst. Und die Männer waren noch um einiges stattlicher. Ihre Haut hatte die Farbe polierten Kupfers. Manche der Männer hatten langes Haar und wirkten furchterregend; andere trugen das Haar kurz und wirkten ganz zivilisiert.
    Alma sah, wie sich eine jämmerliche Schar Dirnen in eindeutiger Absicht auf die Besatzung der Elliot stürzte, kaum dass die Männer an Land gekommen waren. Die Frauen trugen das Haar offen, es fiel ihnen in glänzenden schwarzen Wellen bis zur Taille. Von hinten sahen sie alle gleich aus. Von vorn jedoch unterschieden sie sich in Alter und Schönheit. Alma beobachtete, wie die Verhandlungen ihren Lauf nahmen. Sie fragte sich, was so etwas wohl kostete. Sie fragte sich, was genau diese Frauen anboten. Sie fragte sich, wie lang ein solcher Geschäftsverkehr wohl dauerte und wo er vonstattenging. Und sie fragte sich, wohin die Seeleute wohl gingen, wenn sie statt Mädchen Männer kaufen wollten. Am Kai schien nichts dergleichen stattzufinden. Vermutlich suchte man dafür diskretere Orte auf.
    Sie sah kleine und größere Kinder in rauen Mengen: bekleidet und unbekleidet, im oder am Wasser, um sie herum oder direkt vor ihren Füßen. Die Kinder bewegten sich wie Schwärme von Fischen oder Vögeln, bei denen jeder Entschluss in sofortigen, kollektiven Gleichklang mündete: Jetzt springen wir! Jetzt rennen wir! Jetzt betteln wir! Jetzt albern wir! Sie sah einen alten Mann, dessen entzündetes Bein auf doppelten Umfang angeschwollen war. Seine Augen waren vor Blindheit weiß. Sie sah winzige Kutschwagen, gezogen von den traurigsten Ponys, die man sich nur denken konnte. Sie sah ein paar kleine, scheckige Hunde, die im Schatten miteinander balgten. Sie sah drei französische Matrosen, die einander untergehakt hielten und aus voller Kehle sangen, bereits betrunken an diesem schönen Morgen. Sie sah die Schilder einer Billardhalle und, erstaunlich genug, einer Druckerei. Das Festland schwankte unter ihren Füßen. Sie schwitzte in der Sonne.
    Ein stattlicher schwarzer Hahn erspähte Alma und kam beflissenen Schrittes auf sie zu, als wäre er ein Abgesandter, der sie willkommen heißen sollte. Er wirkte so würdevoll, dass sie kaum überrascht gewesen wäre, eine hochoffizielle Schärpe über seiner Brust zu sehen. Der Hahn blieb direkt vor ihr stehen, wachsam und gebieterisch. Alma rechnete fast damit, dass er das Wort an sie richten oder ein amtliches Schriftstück von ihr verlangen würde. Weil sie nicht wusste, was sie sonst tun sollte, bückte sie sich und streichelte den hochherrschaftlichen Vogel wie einen Hund. Zu ihrer Überraschung ließ er es geschehen. Sie streichelte ihn noch ein Weilchen, und er gackerte voller Zufriedenheit vor sich hin. Schließlich ließ er sich zu ihren Füßen nieder und spreizte in malerischer Ruhepose die Flügel. Er erweckte ganz den Anschein, als wäre die Kontaktaufnahme genau nach seinen Wünschen verlaufen. Und Alma empfand diesen schlichten Austausch als durchaus tröstlich. Die Ruhe und Gelassenheit des Hahns beruhigte auch sie.
    So verharrten sie beide – Frau und Vogel – schweigend zusammen am Kai, in Erwartung dessen, was da kommen würde.
    •
    Von Papeete bis zur Matavai-Bucht waren es sieben Meilen. Alma bedauerte das arme Pony, das ihr Gepäck ziehen musste, so sehr, dass sie selbst aus dem Wagen stieg und neben ihm ging. Nach den trägen Monaten auf See genoss sie es, endlich wieder die Beine zu bewegen. Der Weg war schön und wurde von einem Gitterwerk aus Palmen und Brotfruchtbäumen überschattet. Die Landschaft erschien Alma vertraut und verwirrend zugleich. Viele der Palmenarten kannte sie bereits aus den Gewächshäusern ihres Vaters, doch andere waren fremdartige Gebilde aus plissierten Blättern und glitschig-ledriger Rinde. Und weil sie Palmen nur aus dem Gewächshaus kannte, merkte Alma bald, dass sie nun zum ersten Mal überhaupt Palmen hörte . Der Wind, der durch die Wedel strich, machte ein Geräusch wie raschelnde Seide. Manchmal, wenn eine stärkere Böe kam, knarzten die Stämme der Bäume wie alte Türen. Sie waren allesamt so laut und lebendig. Die Brotfruchtbäume hingegen waren imposanter und eleganter, als Alma sich je hätte träumen lassen. Sie sahen aus wie die Ulmen daheim: glanzvoll und großherzig.
    Den Fahrer – einen alten Tahitianer mit bestürzend tätowiertem Rücken und eingeöltem Brustkorb – verwirrte es, dass Alma zu Fuß gehen wollte. Anscheinend befürchtete er, es könnte ihn seinen

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