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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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und andere Wurzelballen. Manche waren knotig, andere glatt. Sie rätselte, wie man diese Pflanzen zum weiteren Studium konservieren könnte, ohne dass sie schimmelten oder zu schwärzlichen Flöckchen zerfielen. Ganz gelang es ihr nicht, doch es gab ihr eine Beschäftigung. Zudem stellte sie begeistert fest, dass die Seeleute ihre Harpunenspitzen in getrocknetes Moos verpackt aufbewahrten, denn damit hatte sie ein weiteres, wunderbar vertrautes Studienobjekt.
    Alma lernte, die Seeleute zu bewundern. Sie konnte nicht begreifen, wie sie es ertrugen, über so lange Zeit hinweg auf die Annehmlichkeiten des Festlands zu verzichten. Wie kam es, dass sie nicht wahnsinnig wurden? Alma war vom Meer überwältigt und beunruhigt zugleich. Nichts hatte je einen so starken Eindruck auf ihr gesamtes Wesen gemacht. Das Meer erschien ihr wie die Quintessenz der Materie, das Meisterwerk jeglichen Mysteriums. Eines Nachts durchsegelten sie ein Diamantfeld aus Meeresleuchten. Im Vorwärtsgleiten wühlte das Schiff merkwürdige Moleküle aus Grün und Purpurrot auf, bis es aussah, als zöge die Elliot einen langen leuchtenden Schleier hinter sich her, der sich weit über das Meer erstreckte. Es war so schön, dass Alma sich fragte, warum die Männer sich nicht einfach in die Tiefe stürzten, in den Tod gelockt von diesem betörenden Zauber.
    In anderen Nächten, wenn sie nicht schlafen konnte, lief sie barfuß über Deck, um ihre Fußsohlen für Tahiti abzuhärten. Sie sah die länglichen Spiegelbilder der Sterne wie Fackeln auf dem ruhigen Wasser leuchten. Der Himmel über ihr war ihr ebenso fremd wie das Meer ringsum. Ein paar Sternbilder, die sie sah – Orion und die Plejaden –, erinnerten sie noch an zu Hause, doch der Polarstern war verschwunden und der Große Wagen ebenfalls. Das Fehlen dieser Schätze am Himmelszelt führte dazu, dass Alma sich halt- und hoffnungslos desorientiert fühlte. Doch wie um sie zu entschädigen, gab es neue Kostbarkeiten am Himmel zu entdecken. Alma konnte nun das Kreuz des Südens sehen, die Zwillinge und die weiten, ausladenden Nebel der Milchstraße.
    Von den Sternbildern fasziniert, sagte Alma eines Abends zu Kapitän Terrence: » Nihil astra praeter vidit et undas.«
    »Was heißt das?«, fragte er.
    »Das ist aus den Oden des Horaz«, erklärte sie. »Es heißt, dass ringsum nur Sterne zu sehen sind und Gewässer.«
    »Latein beherrsche ich leider nicht, Miss Whittaker«, entschuldigte sich der Kapitän. »Ich bin kein Katholik.«
    Einer der älteren Seeleute, der viele Jahre im Südpazifik gelebt hatte, erzählte Alma, dass die Tahitianer den Stern, den sie sich als Orientierungspunkt für die Schifffahrt auswählten, aveia nannten – den Gott, der sie führe. Die gebräuchlichere Bezeichnung für einen Stern, berichtete er weiter, sei auf Tahiti aber fetia . Mars beispielsweise sei der rote Stern: der fetia ura . Der Morgenstern sei der fetia ao : der Stern des Lichts. Die Tahitianer seien begnadete Seefahrer, erzählte der Seemann mit unverhohlener Bewunderung. Selbst in einer stern- und mondlosen Nacht könnten sie noch navigieren und sich allein anhand der Meeresströmung orientieren. Sie kannten sechzehn verschiedene Arten von Wind.
    »Ich hab mich immer gefragt, ob sie nicht schon mal bei uns im Norden waren, bevor wir zu ihnen in den Süden gekommen sind«, sagte er. »Ich frag mich, ob sie mit ihren Kanus nicht schon in Liverpool waren oder in Nantucket. Imstande wären sie. Die hätten einfach da vorbeipaddeln können, uns ein Weilchen beim Schlafen zusehen und dann wieder wegpaddeln, bevor wir sie bemerken. Ich wär kein bisschen überrascht, wenn’s so gewesen wär.«
    Nun beherrschte Alma also ein paar Wörter auf Tahitianisch. Sie wusste, was »Stern« hieß, was »rot« und was »Licht«. Sie bat den Seemann, ihr noch mehr beizubringen. Er tat, was er konnte, um ihr von Nutzen zu sein, doch er kannte, wie er selbst entschuldigend anmerkte, fast nur Ausdrücke aus dem Bereich der Seefahrt und all die Dinge, die man hübschen Mädchen sage.
    Wale sahen sie weiterhin nicht.
    Die Männer waren enttäuscht. Sie langweilten sich, wurden unruhig. Das Meer war halb leer gejagt. Der Kapitän fürchtete den Bankrott. Und einige der Männer – zumindest die, mit denen Alma sich angefreundet hatte – hätten auch gern ihr Jagdgeschick zur Schau gestellt.
    »Das ist ein Kitzel, wie Sie ihn noch nie erlebt haben«, versprachen sie.
    Täglich hielten sie nach Walen Ausschau. Auch Alma

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