Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Bryologin? Was in aller Welt wissen Sie denn von Moosen?«
Alma konnte nicht anders: Sie musste lachen. Wie wundervoll es war zu lachen! Sie konnte sich wahrhaftig nicht erinnern, wann sie zuletzt gelacht hatte. Sie lachte so sehr, dass sie für kurze Zeit die Hände vors Gesicht schlagen musste, um ihre Heiterkeit zu verbergen. Ihr Auftritt brachte den armen alten Onkel offenbar noch mehr aus der Fassung. Sie tat ihrem Anliegen nichts Gutes damit.
Wie hatte sie auch glauben können, ihr bescheidener Ruf sei ihr vorausgeeilt? Ach, eitler Stolz!
Als Alma sich wieder gefasst hatte, wischte sie sich die Augen und lächelte ihn an. »Mir ist klar, dass ich Sie überrumpele, Onkel Dees«, sagte sie und schlug dabei wie von selbst einen wärmeren, vertrauteren Ton an. »Bitte verzeihen Sie mir. Ich versichere Ihnen, ich bin eine finanziell unabhängige Frau und keineswegs darauf aus, Ihr Leben in irgendeiner Weise in Unordnung zu bringen. Dennoch ist es so, dass ich über gewisse Fähigkeiten verfüge, sowohl wissenschaftlicher als auch taxonomischer Natur, die einer Einrichtung wie der Ihren durchaus von Nutzen sein könnten. Ich kann ohne jeden Vorbehalt sagen, dass es mir die allergrößte Freude bereiten würde, den Rest meines Arbeitslebens hier zu verbringen und meine Zeit und Kraft in den Dienst einer Einrichtung zu stellen, die sowohl in der Geschichte der Botanik als auch in meiner eigenen Familiengeschichte einen so prominenten Platz einnimmt.«
Damit zog sie das braune Päckchen unter dem Arm hervor und legte es auf den Schreibtisch.
»Ich verlange nicht, Onkel«, sagte sie, »dass nur mein Wort für meine Fähigkeiten bürgen soll. Dieses Päckchen enthält eine Theorie, die ich unlängst niedergeschrieben habe, auf der Grundlage von Forschungen, mit denen ich die letzten dreißig Jahre meines Lebens verbracht habe. Manche Ideen darin mögen Ihnen recht kühn erscheinen, doch ich bitte Sie, diese Seiten offenen Geistes zu lesen – und selbstverständlich auch, die darin enthaltenen Ergebnisse für sich zu behalten. Selbst wenn Sie mit meinen Schlussfolgerungen nicht übereinstimmen sollten, glaube ich doch, dass sie Ihnen einen Eindruck meiner wissenschaftlichen Fähigkeiten vermitteln werden. Ich bitte Sie, das Manuskript mit Respekt zu behandeln, denn es ist alles, was ich habe, und alles, was ich bin.«
Er zeigte weder Zustimmung noch Ablehnung.
»Ich gehe davon aus, dass Sie Englisch lesen?«, fragte Alma.
Dees hob eine schneeweiße Augenbraue, als wollte er sagen: Also wirklich, Weib – etwas mehr Respekt, bitte .
Ehe Alma ihrem Onkel das Päckchen reichte, griff sie nach einem Bleistift, der auf dem Schreibtisch lag, und fragte: »Erlauben Sie?«
Er nickte, und sie notierte etwas auf der Außenseite des Päckchens.
»Dies sind Name und Anschrift des Hotels, in dem ich abgestiegen bin, gleich am Hafen. Lesen Sie die Abhandlung in aller Ruhe, und lassen Sie mich dann wissen, ob Sie mich noch einmal sprechen wollen. Sollte ich binnen einer Woche nichts von Ihnen gehört haben, werde ich noch einmal zurückkehren, mein Manuskript wieder an mich nehmen, mich von Ihnen verabschieden und meiner Wege gehen. Ich gelobe, dass ich anschließend weder Sie noch sonst jemanden aus der Familie weiter belästigen werde.«
Während Alma noch sprach, sah sie, dass ihr Onkel ein weiteres Stückchen wentelteefje auf seine Gabel spießte. Doch anstatt die Gabel zum Mund zu führen, beugte er sich auf seinem Stuhl zur Seite und senkte langsam eine Schulter, um den Bissen Roger dem Hund zu offerieren – das alles, während er den Blick weiterhin auf Alma gerichtet hielt und ihr weiter mit voller Aufmerksamkeit lauschte.
»Oh, seien Sie bitte vorsichtig …« Alma beugte sich besorgt zu ihm. Sie wollte ihren Onkel warnen, dass dieser Hund die schreckliche Gewohnheit besaß, jeden zu beißen, der ihn füttern wollte; doch ehe sie noch weitersprechen konnte, hob Roger den ungestalten kleinen Kopf und pflückte, so manierlich wie eine ehrbare Dame, das Stückchen Zimttoast von den Zinken der Gabel.
»Also, ich muss schon sagen«, murmelte Alma erstaunt und tat wieder einen Schritt zurück.
Da ihr Onkel den Hund jedoch weiterhin nicht erwähnte, sagte auch sie nicht mehr dazu.
Sie strich ihre Röcke glatt und fasste sich wieder. »Es war mir eine große Freude, Sie kennenzulernen«, sagte sie. »Diese Begegnung bedeutet mir mehr, Mijnheer, als Sie jemals ahnen können. Wissen Sie, ich hatte noch nie das
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