Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
Vom Netzwerk:
eingeschlossen.«
    »Nimm die Menschheit einfach aus«, entgegnete Onkel Dees achselzuckend. »Das hat Aristoteles auch getan.«
    »Aber es geht hier doch nicht um die große Kette der Wesen, Onkel. Ich bin weder an moralischen noch an philosophischen Argumenten interessiert, mir geht es um eine universelle biologische Theorie. Naturgesetze lassen keine Ausnahme zu, sonst haben sie keinen Bestand als Gesetz. Prudence ist nicht von der Schwerkraft ausgenommen; folglich kann sie auch nicht von der Theorie der Veränderung durch Konkurrenz ausgenommen bleiben, falls diese Theorie tatsächlich zutrifft. Und wenn Prudence doch davon ausgenommen bleibt, dann ist die Theorie nicht zutreffend.«
    »Die Schwerkraft?« Dees hob die Augen gen Himmel. »Du liebe Zeit, Kind, hör dich nur an. Jetzt willst du schon Newton sein!«
    »Ich will nur korrekt sein«, korrigierte ihn Alma.
    In unbeschwerteren Momenten konnte Alma dem Problem Prudence allerdings auch eine gewisse Komik abgewinnen. Ihre ganze gemeinsame Jugend hindurch war Prudence ein Problem für Alma gewesen, und nun – so sehr Alma ihre Schwester inzwischen liebte, schätzte und respektierte – war sie es immer noch.
    »Manchmal würde ich mir wünschen, den Namen Prudence in diesem Hause nie mehr hören zu müssen«, bemerkte Onkel Dees. »Ich habe die Nase von Prudence gestrichen voll.«
    »Dann erklär du sie mir«, beharrte Alma. »Weshalb nimmt sie die verwaisten Kinder der Sklaven bei sich auf? Weshalb gibt sie ihren letzten Penny den Armen? Worin liegt der Vorteil für sie? Worin liegt der Vorteil für ihre Nachkommen? Erklär mir das!«
    »Der Vorteil für sie, Alma, liegt darin, dass sie eine Märtyrerin im Namen Christi ist und eine kleine Kreuzigung hier und da zu schätzen weiß. Ich kenne diesen Menschenschlag, Kind. Auch dir dürfte inzwischen klar sein, dass es Leute gibt, die ebenso viel Freude daran haben, fürsorglich und aufopferungsvoll zu sein, wie andere daran, zu morden und zu brandschatzen. Solch leidige Exemplare sind zwar selten, doch es gibt sie.«
    »Aber damit sind wir wieder beim Kern unseres Problems!«, gab Alma zurück. »Wenn meine Theorie zuträfe, dürfte es solche Menschen nicht geben. Erinnere dich, Onkel, der Titel meines Traktats lautet nicht: ›Eine Theorie über die Freuden der Opferbereitschaft‹.«
    »Bring ihn heraus, Alma«, sagte ihr Onkel müde. »Er ist bestens durchdacht und aus einem Guss. Bring den Traktat heraus, wie er ist, und dann soll sich die Welt über diesen einen Punkt streiten.«
    »Ich kann ihn erst herausbringen«, beharrte Alma, »wenn dieser eine Punkt unstrittig ist.«
    So drehte sich das Gespräch immer und immer wieder im Kreis, um am Ende jedes Mal von neuem in der immergleichen ausweglosen Sackgasse festzustecken. Onkel Dees betrachtete Roger den Hund, der zusammengerollt auf seinem Schoß lag, und sagte: »Du würdest mich retten, wenn ich im Kanal zu ertrinken drohte, was, mein Freund?«
    Als Antwort wedelte Roger mit dem eigentümlichen Gebilde, das ihm als Schwanz diente.
    Das musste Alma bestätigen: Roger würde Onkel Dees wohl tatsächlich retten, wenn er im Kanal zu ertrinken drohte, in den Flammen festsäße, hungernd in einem Kerker schmachtete oder unter den Trümmern eines eingestürzten Hauses verschüttet wäre – und Onkel Dees würde umgekehrt dasselbe tun. Die Liebe zwischen Onkel Dees und Roger war ebenso dauerhaft, wie sie unmittelbar gewesen war. Nie wichen sie einander von der Seite, Herr und Hund, seit sie einander zum ersten Mal ansichtig geworden waren. Schon bald nach ihrer Ankunft in Amsterdam vier Jahre zuvor hatte Roger Alma zu verstehen gegeben, dass er nicht mehr ihr Hund war – dass er im Grunde nie ihr Hund gewesen war und auch nicht Ambroses Hund, sondern dass er, kraft eines klaren und schlichten Schicksals, immer schon Dees gehört hatte. Die Tatsache, dass Roger im fernen Tahiti geboren war, während Dees van Devender in Holland lebte, beruhte, so schien Roger zu glauben, auf einem bedauerlichen Formfehler, der nun glücklicherweise berichtigt war.
    Was Almas Rolle in Rogers Leben betraf, so war sie nur der Kurier gewesen, dessen Aufgabe darin bestand, den leidgeprüften kleinen Kerl einmal um die halbe Welt zu begleiten, damit Hund und Herr endlich in der ewigen und hingebungsvollen Liebe vereint sein konnten, die für sie vorgesehen war.
    Ewige, hingebungsvolle Liebe.
    Warum ?
    Auch Roger stellte Alma vor ein Rätsel.
    Roger ebenso wie Prudence.
    •
    Der

Weitere Kostenlose Bücher