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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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und machte sich nicht einmal die Mühe, seine Tränen abzuwischen. »Gott segne dich, Kind. Du hast den Verstand deiner Mutter.«

Kapitel 29
    Vier Jahre vergingen.
    Für Alma Whittaker waren es glückliche Jahre, und wie sollte es auch anders sein? Sie hatte ein Zuhause (ihr Onkel hatte sie umgehend in den Hausstand der van Devenders aufgenommen), sie hatte eine Familie (die vier Söhne ihres Onkels, deren reizende Ehefrauen und ein ganzer Stall heranwachsender Kinder), sie konnte regelmäßig mit Prudence und Hanneke in Philadelphia korrespondieren, und sie bekleidete eine durchaus verantwortungsvolle Stellung im Hortus Botanicus. Ihr offizieller Titel lautete Curator van Mossen – Moos-Kuratorin, Hüterin der Moose. Sie erhielt ein eigenes Arbeitszimmer, im ersten Stock eines freundlichen Gebäudes, nur zwei Türen vom Wohnhaus der van Devenders entfernt.
    Alma ließ sich all ihre alten Bücher und Notizen aus der Remise von White Acre überstellen und natürlich auch ihr Herbarium. Die Woche, in der die Schiffsladung eintraf, war ein Fest für sie; sie verbrachte Tage in nostalgischer Versunkenheit, während sie alles auspackte. Wie sehr sie jeden einzelnen Gegenstand, jedes einzelne Buch vermisst hatte! Errötend und belustigt fand sie ganz zuunterst in der Büchertruhe ihre einstige lüsterne Lektüre versammelt. Sie entschied sich, die Bücher zu behalten – wenn auch an einem verschwiegenen Ort. Zum einen wusste sie nicht recht, wie sie sich dieser skandalösen Werke ohne Aufsehen entledigen sollte. Und zum anderen besaßen diese Bücher immer noch die Kraft, sie anzuregen. Trotz ihres fortgeschrittenen Alters hockte noch ein eigensinniger Rest schamlosen Begehrens in ihrem Körper, der in manchen Nächten entschieden nach Aufmerksamkeit verlangte; dann widmete sie sich unter der Bettdecke wieder den altvertrauten Genüssen und dachte daran zurück, wie Tomorrow Morning geschmeckt, wie Ambrose gerochen hatte, und wie beharrlich sie doch waren, diese elementaren Triebe des Lebens. Sie unternahm nicht einmal mehr den Versuch, sie zu unterdrücken, waren sie doch offensichtlich ein Teil von ihr.
    Alma verdiente im Hortus Botanicus ein respektables Gehalt – das erste ihres Lebens –, und sie teilte sich einen Assistenten und eine Schreibkraft mit dem Direktor der Mykologie und dem Pfleger der Farne, mit denen sie im Laufe der Zeit enge Freundschaft schloss – ihre ersten Freundschaften mit anderen Wissenschaftlern. Bald schon hatte sie sich nicht nur als herausragende Taxonomin einen Namen gemacht, sondern auch als wunderbare Cousine. Alma war selbst nicht wenig erfreut und erstaunt darüber, wie mühelos sie sich in das quirlige, turbulente Familienleben einfügte, nachdem sie doch zeit ihres Lebens eine so einsame Existenz geführt hatte. Abends am Tisch freute sie sich an den geistreichen Wortwechseln zwischen Dees’ Kindern und Kindeskindern und empfand Stolz ob ihrer vielfältigen Talente und Erfolge. Sie fühlte sich geehrt, wenn die Mädchen mit ihren romantischen Freuden oder Erschütterungen Rat und Trost bei ihr suchten. In ihrem Überschwang meinte Alma, etwas von Retta wiederzufinden; in ihrer Zurückhaltung meinte sie, Prudence zu entdecken, und in ihren Zweifeln schließlich fand sie etwas von sich selbst.
    Mit der Zeit betrachteten sämtliche van Devenders Alma als enormen Gewinn, sowohl für den Hortus als auch für die Familie – zwei Bereiche, die ohnehin aufs Engste miteinander verwoben waren. Almas Onkel überließ ihr einen kleinen, schattigen Winkel im Palmenhaus und ermunterte sie, dort einen dauerhaften Ausstellungsbereich mit dem Titel »Die Mooshöhle« anzulegen. Dies war ein ebenso schwieriges wie erfüllendes Unterfangen. Moose wachsen nur ungern dort, wo sie nicht geboren sind, und Alma hatte Mühe, die notwendigen Bedingungen präzise nachzustellen – den genauen Feuchtigkeitsgrad, das richtige Mischungsverhältnis aus Licht und Schatten, den passenden Nährboden aus Stein, Kies oder Holz –, damit die Mooskolonien auch in dieser künstlichen Umgebung gediehen. Das Kunststück gelang ihr jedoch, und bald sprossen in der Höhle Moosarten aus aller Herren Länder. Es kam einer Lebensaufgabe gleich, dieses Schaustück zu pflegen, denn es musste stets feucht gehalten werden (was mit Hilfe von dampfbetriebenen Maschinen geschah) und durch gedämmte Wände vor Hitze geschützt bleiben; auch direktem Sonnenlicht durfte es nicht ausgesetzt werden. Es galt ferner, die

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