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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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Gesundheit Schaden zufügen würde. Unfähig, ihrem Forscherdrang Einhalt zu gebieten, ging sie auch diesem Thema auf den Grund, und was sie erfuhr, war nicht ermutigend. In einer medizinischen Fachzeitschrift aus England las sie, dass Kinder, gesund ernährt und an der frischen Luft aufgezogen, ihrem Körper für gewöhnlich ohne den leisesten Verdacht einer wie auch immer gearteten sexuellen Natur begegneten und überdies nach keinerlei sinnlicher Aufklärung trachteten. Die einfachen Freuden des Landlebens, so behauptete der Autor, böten jungen Menschen hinreichend Unterhaltung, um jegliches Verlangen nach Erforschung ihrer Genitalien im Keim zu ersticken. In einer anderen Fachzeitschrift erfuhr sie die möglichen Ursachen sexueller Frühreife: Bettnässen, zu viel Prügel im Kindesalter, eine Rektalreizung aufgrund von Würmern oder – und hier stockte Alma der Atem – eine »verfrühte intellektuelle Entwicklung«. Genau so hatte es sich wahrscheinlich bei ihr zugetragen. Wenn nämlich der Geist in jungen Jahren übermäßig gefördert werde, las Alma, komme es unweigerlich zu Perversionen, und der Betroffene suche ungehemmt nach Ersatzmitteln für den Geschlechtsverkehr. Dies trete als Problem vornehmlich in der Entwicklung von Jungen auf, äußere sich aber in seltenen Fällen auch bei Mädchen. Junge Menschen, die sich an ihrem eigenen Körper gütlich täten, entwickelten sich zu Eheleuten, die ihre Angetrauten Nacht für Nacht mit dem Verlangen nach geschlechtlicher Vereinigung drangsalierten, bis Siechtum, Niedergang und sogar finanzieller Ruin die Familie heimsuchten. Darüber hinaus zerstöre der Selbstgenuss die Gesundheit des Körpers, erzeuge einen Rundrücken und führe zu einem humpelnden Gang.
    Mit anderen Worten stellte sich Almas heimliches Tun als nicht gerade empfehlenswert dar. Dabei hatte sie ursprünglich gar nicht beabsichtigt, diese Form der Lust zur Gewohnheit werden zu lassen. Fest und mit größter Ernsthaftigkeit nahm sie sich vor, dem Ganzen ein Ende zu bereiten. Ja, anfangs nahm sie es sich fest vor. Sie schwor sich, ihre schlüpfrige Lektüre einzustellen. Sie schwor sich, allen sinnlichen Träumereien, die sich um George Hawkes und seinen dunklen, feucht glänzenden Haarschopf drehten, einen Riegel vorzuschieben. Sie würde sich nicht mehr ausmalen, wie es wäre, sein verborgenes Glied in den Mund zu nehmen. Sie gelobte, die Bindekammer nie mehr aufzusuchen, nicht einmal dann, wenn ein Buch zu reparieren war!
    Doch ihr Entschluss geriet wieder und wieder ins Wanken. Sie nahm sich vor, die Bindekammer nur noch dieses eine Mal zu besuchen. Nur noch ein Mal würde sie den abscheulichen, aufwühlenden Bildern erlauben, ihre Gedanken zu bevölkern. Nur noch ein Mal würde sie ihren Fingern erlauben, ihre Scheide zu durchwühlen und ihre Lippen zu reiben, nur noch ein Mal wollte sie spüren, wie sich ihre Beine verkrampften und ihr Gesicht zu glühen begann, wie schließlich ihr entfesselter Körper in ein wunderbares, schreckliches Chaos der Sinne eintauchte. Nur noch ein Mal.
    Und dann vielleicht noch ein allerletztes Mal.
    Bald wurde offenbar, dass sie nichts dagegen ausrichten konnte, und so hatte Alma keine andere Wahl, als ihr Verhalten schweigend zu dulden und fortzusetzen. Wie hätte sie die Begierden, die sich Tag für Tag, Stunde um Stunde in ihrem Körper anstauten, sonst bewältigen sollen? Zudem wichen die Folgen ihrer Selbstbefleckung für Gesundheit und Seele so deutlich von den Warnungen der Experten ab, dass Alma sich eine Zeitlang tatsächlich fragte, ob sie vielleicht irgendetwas verkehrt machte und ihr heimliches Treiben deshalb – gewissermaßen aus Versehen – gar nicht schädlich, sondern sogar eher bekömmlich war. Oder gab es eine andere Erklärung dafür, dass es keine der fatalen Folgen zeitigte, vor denen die medizinischen Fachzeitschriften warnten? Es brachte Alma kein Siechtum, sondern Erleichterung. Anstatt ihrem Antlitz jede Lebendigkeit zu entziehen, schenkte es ihr blühende Wangen. Ja, ihre Getriebenheit erfüllte sie natürlich mit Scham, doch sobald der Akt vollzogen war, fühlte sie sich in einen überaus lebendigen Zustand geistiger Klarheit versetzt. Dann eilte sie aus der Bindekammer hin zu ihrer Arbeit, um sich mit frischem Elan ihren Studien zu widmen, beflügelt durch eine mentale Energie, eine pulsierende, prickelnde Lebenskraft, die sich als überaus ersprießlich erwies. Nie war sie so rege und aufgeweckt wie danach. Nie konnte ihre

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