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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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bemühen, und so bemühten sie sich vernünftigerweise gar nicht erst. Sie stierten sie an, denn man kam nicht umhin, Prudence Whittaker anzustieren, hielten sich jedoch fern.
    Nun hätte man vermuten können, die Whittaker-Mädchen würden Mitgiftjäger anlocken. Tatsächlich gab es viele junge Männer, die nach dem Geld der Familie gierten; angesichts der beängstigenden Perspektive, Henry Whittakers Schwiegersohn zu werden, war es die Mühe dann wohl doch nicht wert. Zumal niemand ernsthaft glaubte, dass sich Henry jemals von seinem Vermögen trennen würde.
    Jedenfalls führte nicht einmal die Aussicht auf Reichtum Freier nach White Acre.
    Natürlich waren auf dem Anwesen jederzeit Männer zugegen, doch sie kamen Henrys wegen, nicht wegen der Töchter. Tagsüber sah man sie zu jeder Stunde im Atrium von White Acre stehen und auf eine Audienz bei Henry Whittaker hoffen. Es waren alle Arten von Männern: Verzweifelte, Zornige, Träumer, Lügner. Männer, die mit Schaukästen, Erfindungen, Zeichnungen, Plänen oder anhängigen Prozessen auf dem Anwesen eintrafen. Sie kamen mit Kaufangeboten für Aktien, Kreditanfragen, dem Prototyp einer neuen Vakuumpumpe oder der Gewissheit eines wirksamen Mittels gegen Gelbsucht, wenn Henry nur in ihre Forschungen investieren würde. Lediglich die Freuden der Brautwerbung waren niemals der Grund für ihr Kommen.
    George Hawkes indessen war anders. Er hatte keine materiellen Dinge im Sinn, sondern kam nach White Acre, um sich mit Henry zu unterhalten und sich an den Gewächshäusern und ihren Beutestücken zu erfreuen. Henry wiederum genoss den Umgang mit George, der in seinen Zeitschriften aktuelle Forschungsergebnisse veröffentlichte und über alles, was auf dem Gebiet der Botanik stattfand, Bescheid wusste. George benahm sich ganz gewiss nicht wie ein Freier – weder flirtete er, noch machte er neckische Scherze –, doch er nahm die Whittaker-Mädchen wahr und begegnete ihnen freundlich. Um Prudence war er stets eifrig bemüht. Und Alma behandelte er wie eine respektierte Kollegin. Alma schätzte Georges Aufmerksamkeit, doch sie wünschte sich mehr. Akademischer Gedankenaustausch, so viel spürte sie, war nicht unbedingt das, wonach ein junger Mann beim Mädchen seiner Wahl trachtete. Dies war höchst bedauerlich für Alma, denn sie liebte George Hawkes von ganzem Herzen.
    Dabei war es eigentlich seltsam, ausgerechnet ihn zu lieben. Niemand hätte George jemals bezichtigt, ein schöner Mann zu sein, doch in Almas Augen war er geradezu makellos. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass sie ein nettes und vielleicht auch naheliegendes Gespann bildeten. George war ohne Frage von übermäßig kräftiger Statur, blass, unbeholfen und plump – genauso wie Alma. In der Wahl seiner Kleidung machte er grundsätzlich alles falsch, und auch Alma war nicht elegant. Georges Westen waren stets zu eng, seine Hosen zu weit, doch wäre Alma ein Mann gewesen, hätte sie sich gewiss genauso gekleidet, denn sie begegnete beim Zusammenstellen ihrer Garderobe ähnlichen Schwierigkeiten wie er. Georges übermäßig hohe, breite Stirn stand in keinem Verhältnis zu seinem kleinen Kinn, doch er besaß einen dichten, dunklen, feucht glänzenden Haarschopf, den Alma für ihr Leben gern berührt hätte.
    Nichts lag Alma ferner als Koketterie. Sie hatte nicht die leiseste Vorstellung, wie sie es anstellen sollte, George für sich zu gewinnen, wenn nicht durch Verfassen von immer mehr Aufsätzen über immer abwegigere botanische Themen. In der ganzen Zeit hatte es nur einen Moment zwischen George und Alma gegeben, den man in einem gewissen Sinne als zärtlich hätte interpretieren können. Alma hatte George Hawkes im April des Jahres 1818 durch ihr Mikroskop eine schöne Carchesium polypinum -Kolonie präsentiert – quicklebendig und gut beleuchtet, tanzten die Tierchen mit rotierenden Kelchen und flirrenden Flimmerhärchen in einer kleinen Pfütze Teichwasser. George hatte spontan ihre linke Hand ergriffen, sie zwischen seine großen, feuchten Handflächen gepresst und gesagt: »Ach, Miss Whittaker! Mit welcher Meisterschaft Sie mittlerweile das Mikroskop bedienen!«
    Diese Berührung, dieser Händedruck, dieses Lob hatten Almas Herz höher schlagen lassen. Und ferner dazu geführt, dass sie alsbald in die Bindekammer lief, um wieder einmal mit eigener Hand ihre Glut zu löschen.
    Oh ja, die Bindekammer!
    Seit dem Herbst des Jahres 1816 war die Bindekammer ein Ort, den Alma täglich besuchte, phasenweise

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