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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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Sie verabscheuen es auch nicht gänzlich, nicht wahr?«
    »Nun …« Wieder rang Alma um eine Antwort.
    Retta ersparte sie ihr. »Sie sind wirklich allerliebst zu mir! Sie wollen meine Gefühle nicht verletzen. Ich betrachte Sie jetzt schon als meine Freundin! Sie haben ein außerordentlich schönes, beruhigendes Kinn. Es ist dergestalt, dass man Ihnen sofort vertrauen möchte.«
    Unversehens schlang Retta einen Arm um Almas Taille, lehnte den Kopf an ihre Schulter und schmiegte sich freundlich an sie. Es gab nicht einen einzigen Grund, warum Alma diese Geste hätte begrüßen sollen. Wer auch immer Retta Snow war, es lag auf der Hand, dass es sich um eine alberne, törichte Person handelte. Alma hatte zu arbeiten, und dieses Mädchen hinderte sie daran.
    Andererseits war Alma noch nie von jemandem als Freundin bezeichnet worden.
    Noch nie war sie gefragt worden, was sie über ein Kleid dachte.
    Und noch nie hatte jemand ihr Kinn bewundert.
    So verharrte sie eine Weile in der warmen, unverhofften Umarmung. Schließlich löste sich Retta von ihr, blickte zu ihr hoch und lächelte sie an: kindlich, vertrauensselig, einnehmend.
    »Und was machen wir als Nächstes?«, fragte sie. »Wie heißen Sie?«
    Alma lachte, stellte sich ihrer neuen Freundin vor und gestand, dass sie eigentlich nicht wisse, was sie als Nächstes tun sollten.
    »Sind hier noch andere Mädchen?«, erkundigte sich Retta.
    »Meine Schwester.«
    »Sie haben eine Schwester! Sie Glückliche! Los, dann suchen wir sie!«
    Und so durchstreiften sie gemeinsam das Gelände, bis sie Prudence in einem der Rosengärten vorfanden, wo sie an ihrer Staffelei arbeitete.
    »Sie müssen die Schwester sein!«, rief Retta und eilte auf Prudence zu, als hätte sie einen Preis gewonnen und Prudence wäre dieser Preis.
    Korrekt und gefasst wie immer, legte Prudence den Pinsel nieder und streckte ihr höflich die Hand entgegen. Nachdem Retta selbige mit einem deutlichen Zuviel an Begeisterung geschüttelt hatte, neigte sie den Kopf zur Seite und nahm Prudence ungeniert in Augenschein. Angespannt wartete Alma auf eine Bemerkung über Prudence’ Schönheit oder die Frage, wie es denn bitte schön sein könne, dass Alma und Prudence Schwestern seien. Jeder andere Mensch, der die beiden zum ersten Mal nebeneinander sah, stellte diese Frage. Wie war es möglich, dass die eine Schwester einen makellosen Porzellanteint besaß und die andere ein derart rot geflecktes Gesicht? Wie konnte die eine so zierlich und die andere so stämmig sein?
    Auch Prudence erstarrte in Erwartung dieser ewig gleichen, unliebsamen Fragen. Doch Prudence’ Schönheit schien Retta in keiner Weise zu frappieren oder gar einzuschüchtern, und sie geriet auch nicht darüber aus der Fassung, dass die Schwestern tatsächlich Schwestern waren. Sie nahm sich lediglich Zeit, Prudence von Kopf bis Fuß zu mustern, um alsdann voller Freude in die Hände zu klatschen.
    »Dann sind wir jetzt zu dritt!«, rief sie. »Welch ein Glück! Wenn wir Jungs wären, wissen Sie, was wir dann tun müssten? Wir müssten sogleich einen mächtigen Zank anzetteln, uns raufen und balgen und die Nasen blutig schlagen. Und am Ende, wenn wir uns alle übel zugerichtet hätten, würden wir geschwind die besten Freunde werden. Das ist wahr! Ich habe es mit eigenen Augen gesehen! Es scheint wirklich ein Riesenspaß zu sein, aber es täte mir doch leid, mein neues Kleid zu ruinieren – wenn es auch nicht mein bestes ist, wie Alma schon festgestellt hat. Ich danke also dem Himmel, dass wir keine Jungs sind! Und weil wir keine Jungs sind, können wir sogleich Freunde werden, ohne jede Balgerei. Einverstanden?«
    Niemand hatte Zeit, sein Einverständnis zu geben, denn Retta plapperte gleich weiter: »Dann ist es also beschlossene Sache! Wir sind der Club der schnellen Freundinnen! Man sollte einmal ein Lied über uns schreiben. Kann eine von Ihnen zufälligerweise Lieder schreiben?«
    Prudence und Alma sahen sich sprachlos an.
    »Dann tue ich es, wenn ich muss!«, ratterte Retta weiter. »Einen Moment.«
    Sie schloss die Augen, bewegte die Lippen und tippte sich dabei mit den Fingern an die Brust, als würde sie Silben zählen.
    Prudence warf Alma einen fragenden Blick zu, den Alma mit einem Schulterzucken erwiderte.
    Nach langem Schweigen – so lang, dass es jedem Menschen außer Retta Snow unangenehm gewesen wäre – schlug Retta die Augen wieder auf.
    »Ich glaub, ich hab’s«, verkündete sie. »Die Musik muss jemand anders schreiben,

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