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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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sogar mehrmals am Tag, unterbrochen nur in Zeiten der Menstruation. Wie sie trotz ihrer zahlreichen Pflichten und Studien überhaupt Zeit für diese Beschäftigung fand, war eine Frage, die sich schlicht und ergreifend nicht stellte: Alma konnte nicht anders. Ihr großgewachsener, maskuliner Körper – sommersprossig und hart wie Stein, die Knochen schwer, die Gelenke stabil, massive Hüften, breite Brust – war im Laufe der Jahre ein wahrhaft wundersames Organ sexueller Lust geworden, in dem sich fortwährend sinnliche Begierden stauten.
    Cum Grano Salis hatte sie inzwischen so oft gelesen, dass alles fest in ihrem Gedächtnis verankert war, und sich sodann weiterem Lesestoff zugewandt, der nicht minder gewagt war. Sooft ihr Vater anderer Leute Bibliotheken aufkaufte, hielt sie beim Durchsehen der Bücher sorgfältig Ausschau nach gefährlichen Titeln, trügerischen Einbänden oder unstatthaften Inhalten, die sich zwischen harmloseren Druckwerken verborgen hielten. Auf diese Weise hatte sie Sappho und Diderot entdeckt sowie einige recht verwirrende, aus dem Japanischen übersetzte Handreichungen zur Lust. Sie hatte ein französisches Buch mit dem Titel L’Année galante gefunden, das in monatlichen Episoden von zwölf sexuellen Abenteuern erzählte, von perversen Konkubinen und lüsternen Priestern, von gefallenen Ballettmädchen und verführten Gouvernanten. Oh, die leidgeprüften verführten Gouvernanten! Scharenweise entwürdigt und zugrunde gerichtet! Sie tauchten in so vielen unanständigen Büchern auf! Warum sollte man als Frau eigentlich Gouvernante werden, fragte sich Alma, wenn dies doch nur in Notzucht und Versklavung mündete? Alma las sogar den Leitfaden eines geheimen »Damen-Peitsch-Clubs« in London sowie zahllose Geschichten von römischen Orgien und obszönen religiösen Initiationsriten der Hindus. All diese Bücher trennte sie von den anderen und verstaute sie, in Schrankkoffern versteckt, auf dem alten Heuboden der Remise.
    Doch das war noch nicht alles! Sie nahm auch Einblick in medizinische Fachzeitschriften, in denen sie auf die wunderlichsten, befremdlichsten Abhandlungen über den menschlichen Körper stieß. Sie las nüchterne Theorien über Adams und Evas möglichen Hermaphroditismus. Sie las wissenschaftliche Berichte über Schambehaarung, die in so kapriziösem Überfluss spross, dass man sie hätte ernten und in Form von Perücken verkaufen können. Sie las Statistiken über den Gesundheitszustand von Prostituierten im Gebiet Boston. Sie las Schilderungen von Seeleuten, die behaupteten, sie hätten sich mit Robben gepaart. Sie las Vergleiche der Penisgrößen verschiedener Rassen, Kulturen und Säugetierarten.
    Sie wusste, dass sie diese Dinge nicht hätte lesen sollen, doch sie konnte es nicht lassen. Sie wollte alles wissen, was sie nur irgendwie in Erfahrung bringen konnte. All das Gelesene bevölkerte ihren Kopf wie ein zirkusreifes Panoptikum von Leibern – entkleidet und ausgepeitscht, entwürdigt und erniedrigt, schmachtend und in Einzelteile zerlegt, um später zum Zwecke weiterer Erniedrigungen wieder zusammengesetzt zu werden. Im Übrigen hatte sie die fixe Idee, Dinge in den Mund zu nehmen – um genau zu sein Dinge, von denen sich eine Dame niemals wünschen sollte, sie in den Mund zu nehmen. Etwa Körperteile von anderen Leuten und Ähnliches. Am allermeisten das männliche Glied. Mehr noch als in ihrer Scheide wünschte sie es sich in ihrem Mund, wo eine intensivere Fühlungnahme kaum denkbar war. Sie ging Dingen gern minutiös auf den Grund, um eine intime, wenn nicht gar mikroskopische Kenntnis von ihnen zu erlangen, es ergab also Sinn, dass sie sich danach sehnte, den verborgensten Teil eines Mannes – die Brutstätte seines Daseins – zu sehen und sogar zu schmecken. Im Zusammenspiel mit einer gesteigerten Wahrnehmung ihrer Zunge und ihrer Lippen verfestigten sich all diese Gedanken zu einer problematischen Obsession, die solche Ausmaße annahm, dass Alma ihr mehr oder weniger hilflos ausgeliefert war. Sie konnte dieses Problem einzig und allein mit ihren Fingerspitzen lösen, und zwar nirgendwo anders als in der Bindekammer, im sicheren, abgeschotteten Dunkel, umgeben vom vertrauten Geruch nach Leder und Leim, hinter dem guten, alten, verlässlichen Türschloss. Nur so konnte sie es lösen, die eine Hand zwischen den Beinen, die andere im Mund.
    Alma wusste, dass ihre permanente Selbstschändung der Gipfel des Unerlaubten war und möglicherweise sogar ihrer

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