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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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Vergleich mit Kew nicht zu scheuen brauchten. In White Acre hatte er Orchideenarten zum Blühen gebracht, bei denen Sir Joseph Banks an den Ufern der Themse erfolglos geblieben war. Als Henry erfuhr, dass Banks für die Menagerie von Kew eine vierhundert Pfund schwere Schildkröte erworben hatte, gab er unverzüglich den Auftrag, ihm auf den Galapagosinseln ein ebenso großes Exemplar in doppelter Ausführung zu beschaffen. Das Schildkrötenpärchen ließ er sich vom nimmermüden Dick Yancey persönlich anliefern. Henry hatte es sogar fertiggebracht, Riesenseerosen aus dem Amazonasgebiet nach White Acre zu holen – so groß und robust, dass ein Kind darauf stehen konnte –, während Banks bis zu seinem Tode nicht eine einzige Riesenseerose auch nur zu Gesicht bekommen hatte.
    Zudem war es ihm gelungen, einen nicht minder aufwendigen, wenn nicht gar üppigeren Lebensstil zu pflegen als Banks. Er hatte sich in Amerika ein sehr viel größeres, prachtvolleres Anwesen errichtet als alles, was Banks in England jemals bewohnt hatte. Wie ein gigantisches Signalfeuer thronte das Herrenhaus glanzvoll auf seinem Hügel und überstrahlte die ganze Stadt.
    Seit vielen Jahren pflegte sich Henry sogar so zu kleiden wie Sir Joseph Banks. Er hatte nicht vergessen, wie sehr ihn dessen Garderobe als junger Bursche beeindruckt hatte, und so war es ihm im Zuge seines Reichtums ein Anliegen geworden, den Stil des Sir Joseph Banks nicht nur zu imitieren, sondern nach Möglichkeit zu übertreffen. Die Folge war, dass Henry um das Jahr 1820 einen Kleiderstil pflegte, der sich vollständig überlebt hatte. Während jeder andere Mann in Amerika längst zu einfachen Hosen griff, trug Henry noch Kniehosen mit Strümpfen, aufwendige weiße Perücken mit langen Zöpfen, Schuhschnallen aus glänzendem Silber, Herrenröcke mit imposanten Ärmelaufschlägen, üppig gerüschte Hemden und in Brokat gefasste Westen, die in strahlendem Lavendelblau oder Smaragdgrün schillerten.
    So vornehm und altertümlich gekleidet, bot Henry einen wahrhaft wunderlichen Anblick, wenn er in seinem farbenprächtigen georgianischen Aufputz durch Philadelphia spazierte. Man hielt ihm vor, er sehe aus wie eine Wachsfigur aus der Peale’s Arcade, doch das störte ihn nicht. So und nicht anders wollte er aussehen: ein Ebenbild dessen, wie sich Sir Joseph Banks ihm im Jahre 1776 in seinem Arbeitszimmer in Kew dargeboten hatte, als der Dieb Henry (dünn, ausgehungert und ehrgeizig) zum Entdecker Banks (gutaussehend, elegant und in vollem Ornat) zitiert wurde.
    Doch nun war Banks tot. Er war zwar ein toter Baronet, aber nichtsdestoweniger tot. Henry Whittaker dagegen – der aus armen Verhältnissen stammende, gutgekleidete Herr und Gebieter der amerikanischen Botanik – war lebendig und erfolgreich. Sicher, sein Bein schmerzte, seine Frau war krank, im Geschäft mit der Malaria waren die Franzosen auf dem Vormarsch, die amerikanischen Banken gingen zugrunde, er besaß einen Wandschrank, der mit einem Sammelsurium an dahinwelkenden Perücken gefüllt war, und es war ihm auch nicht geglückt, einen Sohn zu zeugen – doch bei Gott, jetzt war es Henry Whittaker endlich gelungen, Sir Joseph Banks zu besiegen!
    Er wies Alma an, in den Weinkeller hinunterzugehen und ihm zur Feier des Tages die beste Flasche Rum zu bringen, die sie finden würde.
    »Lass es zwei Flaschen sein«, fügte er sogar noch hinzu.
    »Vielleicht solltest du heute Abend nicht zu viel trinken«, gab Alma vorsichtig zu bedenken. Henry war gerade erst von einem Fieber genesen, und seine Miene gefiel ihr nicht. Seine Euphorie hatte etwas außerordentlich Beunruhigendes.
    »Heute Abend trinken wir, so viel wir wollen, alter Knabe«, erklärte Henry seinem Geschäftspartner, als hätte Alma keinen Ton gesagt.
    » Mehr als wir wollen«, erwiderte Dick Yancey mit einem so warnenden Blick in Almas Richtung, dass es ihr kalt den Rücken hinunterlief. Himmel, sie konnte diesen Mann nicht leiden, sosehr ihr Vater ihn auch bewunderte. Dick Yancey, so hatte ihr Henry einmal voller Stolz erklärt, sei im Beilegen von Streitigkeiten ein tauglicher Bursche, denn er pflege selbige nicht mit Worten, sondern mit Messern zu beenden. Die beiden Männer hatten sich im Jahre 1788 an den Docks von Sulawesi kennengelernt, wo Henry Zeuge wurde, wie Yancey zwei britischen Marineoffizieren die Höflichkeit wortlos mit den Fäusten einbläute. Henry machte ihn stehenden Fußes zu seinem Vertreter und Vollstrecker, und von diesem Tage

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