Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
Vom Netzwerk:
der Whittakers einer gewissen Ironie nicht entbehrte.
    Auch Henrys Gesundheitszustand war alles andere als blendend. Inzwischen war er sechzig Jahre alt. Die Krankheiten, die er sich in den Tropen zugezogen hatte, traten in immer längeren Schüben auf, was die Planung der Abendeinladungen erschwerte. Nie konnte man gewiss sein, ob Henrys oder Beatrix’ Zustand den Empfang von Gästen zulassen würde. Bei Henry rief dies Langeweile und Wut hervor, und sein Zorn machte den Alltag in White Acre noch schwieriger. Seine Temperamentsausbrüche wurden immer gehässiger. Das wird ihn teuer zu stehen kommen, der ist erledigt, dieser Bastard! Ich will sehen, wie er am Boden liegt! Die Dienstmädchen huschten rasch um die Ecke und versteckten sich, sobald sie ihn kommen sahen.
    Auch aus Europa trafen schlechte Nachrichten ein. Henrys Bevollmächtigter, Dick Yancey – der große Mann aus Yorkshire, vor dem Alma als Kind solche Angst gehabt hatte –, war unlängst mit einer höchst beunruhigenden Neuigkeit in White Acre eingetroffen: Zwei Chemikern war es in Paris gelungen, eine Substanz zu isolieren, die sie »Chinin« nannten und in der Rinde des Chinarindenbaums gefunden hatten. Sie behaupteten, dieses Substrat sei der geheimnisvolle Wirkstoff der Jesuitenrinde, mit dem sich Malaria heilen ließ. Dank dieser neuen Erkenntnisse waren französische Chemiker möglicherweise schon bald in der Lage, ein besseres Chinarindenpräparat herzustellen, eine feiner gemahlene, stärkere, wirksamere Arznei. Damit wäre es ein Leichtes, Henrys Machtposition auf dem Markt für Fiebermittel für alle Zeiten zu untergraben.
    Henry machte sich (und ein bisschen auch Dick Yancey) heftige Vorwürfe, dass sie dieser Entwicklung nicht vorgegriffen hatten. »Das hätten wir entdecken müssen!«, schimpfte er. Doch die Chemie war nicht Henrys Gebiet. Er war ein vortrefflicher Gärtner und Pflanzenkenner, ein skrupelloser Geschäftsmann und ein brillanter Wegbereiter für alle möglichen Neuerungen, doch den weltweiten wissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Zeit konnte er, sosehr er sich auch bemühte, nicht folgen. Das Wissen vermehrte sich zu schnell. Ein anderer Franzose hatte jüngst unter dem Namen Arithometer eine Rechenmaschine patentieren lassen, die in der Lage war, selbständig lange Divisionen durchzuführen. Ein dänischer Physiker hatte unlängst verkündet, dass es einen Zusammenhang zwischen Elektrizität und Magnetismus gebe, und Henry verstand nicht einmal, wovon der Mann überhaupt redete.
    Kurzum, in letzter Zeit gab es zu viele neue Erfindungen und zu viele neue Ideen, die alle hochkomplex und den unterschiedlichsten Bereichen zuzuordnen waren. Man konnte nicht mehr in allen Wissensgebieten Experte sein und damit hübsche Gewinne einfahren. Henry Whittaker fühlte sich plötzlich alt.
    Gleichwohl war auch nicht alles schlecht. Während seines Besuchs konnte Dick Yancey mit einer guten, geradezu überwältigenden Nachricht aufwarten: Sir Joseph Banks war tot.
    Dieser respekteinflößende Mensch, Liebling der Könige und einstmals schönster Mann Europas, der die Erde umschifft, an tropischen Stränden mit heidnischen Königinnen verkehrt, Tausende von neuen Pflanzenarten in Europa eingeführt und Henry in die Welt hinausgeschickt hatte, auf dass ein Henry Whittaker aus ihm werde – dieser Mann war nun tot.
    Mausetot. Modernd in einer Gruft irgendwo in Heston.
    Als Dick Yancey eintraf und diese Nachricht überbrachte, saß auch Alma im väterlichen Arbeitszimmer und fertigte Abschriften von Briefen an. »Gott hab ihn selig«, stieß sie erschrocken hervor.
    »Gott soll ihn verfluchen«, verbesserte Henry seine Tochter. »Er hat versucht, mich kleinzukriegen, aber ich habe ihn besiegt.«
    Ohne jeden Zweifel schien Henry Sir Joseph Banks besiegt zu haben. Zumindest hatte er es geschafft, ihm ebenbürtig zu sein. Trotz der verletzenden Schmach, die ihm Banks vor so vielen Jahren zugefügt hatte, war Henry in einer Weise erfolgreich, die jenseits des Vorstellbaren lag. Er hatte nicht allein im Chinarindenhandel den Sieg davongetragen, sondern war vielmehr in jedem Winkel der Welt mit geschäftlichen Interessen vertreten. Der Name Whittaker stand für sich. Beinahe alle Nachbarn schuldeten ihm Geld. Senatoren, Schiffseigner und Kaufleute erbaten sich seinen Segen und verlangten nach seiner Unterstützung.
    Im Laufe der letzten drei Jahrzehnte hatte Henry im westlichen Teil Philadelphias Gewächshäuser errichtet, die den

Weitere Kostenlose Bücher