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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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aufgebahrt. Beatrix hätte das nicht gewollt, und auch Henry war nicht erpicht darauf, die Leiche seiner Frau zu sehen. Er verkrafte das nicht, erklärte er. Zudem war es angesichts der hohen Temperaturen am vernünftigsten und hygienischsten, rasch zur Beisetzung zu schreiten. Da Beatrix’ Körper im Grunde schon vor ihrem Tode zu modern begonnen hatte, fürchteten alle ein rasches und heftiges Einsetzen der Verwesung. Hanneke wies einen der Zimmermänner von White Acre an, ohne Umstände einen schlichten Sarg zu bauen. Die drei Frauen spickten das Leichentuch mit Lavendelsäckchen, um die Geruchsbildung hinauszuzögern, und kaum stand der Sarg bereit, wurde Beatrix’ Leiche auf ein Fuhrwerk geladen und zur Kirche gebracht, um dort bis zur Bestattung im kühlen Keller zu lagern. Alma, Prudence und Hanneke schnürten sich schwarze Trauerbänder aus Krepp um den Oberarm. Sie waren gehalten, diese Bänder für die Dauer eines halben Jahres zu tragen. Alma fühlte sich mit dem engen Stoff, der ihr den Arm abschnürte, wie ein gegürtelter Baum, dem man den Lebensnerv abgeschnitten hatte. Am Nachmittag der Bestattung schritten sie, dem Fuhrwerk mit dem Sarg folgend, zum schwedisch-lutherischen Friedhof. Die Beisetzung war kurz, schlicht, zweckmäßig und respektabel. Die Trauergemeinde belief sich auf ein knappes Dutzend Personen, darunter auch James Garrick, der Pharmazeut, den während der gesamten Zeremonie ein erbärmlicher Husten quälte. Alma wusste, dass seine Lungen angegriffen waren, nachdem er jahrelang mit dem Jalape-Pulver gearbeitet hatte, dem er seinen Reichtum verdankte. Auch Dick Yancey war anwesend; sein kahles Haupt glänzte in der Sonne wie eine blanke Waffe. George Hawkes war ebenfalls gekommen, und Alma wünschte, sie hätte sich in seine Arme schmiegen können. Zu ihrer Überraschung war auch Arthur Dixon, ihr wachsbleicher ehemaliger Hauslehrer, unter den Trauergästen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Mr Dixon überhaupt von Beatrix’ Tod erfahren hatte, zumal sie von einer wie auch immer gearteten Zuneigung des Lehrers zu seiner alten Lohnherrin niemals etwas bemerkt hatte, doch sein Kommen berührte sie, was Alma ihn denn auch wissen ließ. Retta Snow war gleichfalls gekommen. Mit Alma an der einen und Prudence an der anderen Hand, verharrte sie in einem für sie gänzlich untypischen Schweigen. Tatsächlich war ihre Haltung an jenem Tage beinahe so stoisch wie die einer Whittaker.
    Niemand vergoss eine Träne, und Beatrix hätte es auch nicht anders gewollt. Von der Geburt bis zum Tode, so ihr Leitsatz, galt es, Glaubwürdigkeit, Duldsamkeit und Zurückhaltung an den Tag zu legen. Welche Schande, wenn nach solch einem Leben im Zeichen der Ehrbarkeit doch noch – sozusagen im letzten Moment – alles in Rührseligkeit versunken wäre. So war denn auch im Anschluss kein Beisammensein geplant, um etwa in White Acre gemeinsam Limonade zu trinken und sich in Erinnerungen und tröstlichen Worten zu ergehen. Beatrix hätte es nicht gewünscht. Alma wusste um die Bewunderung ihrer Mutter für Carl von Linné, den Vater der botanischen Taxonomie, der seine Familie im Hinblick auf die eigene Beisetzung angewiesen hatte: »Ladet niemanden ein und nehmt keine Beileidsbekundungen entgegen.«
    Der Sarg wurde in die frische Lehmgrube hinabgelassen. Der lutherische Geistliche ergriff das Wort. Liturgie, Litanei, apostolisches Glaubensbekenntnis – es ging geschwind voran. Nach lutherischem Brauch gab es keine Grabrede, wohl aber eine Predigt, altgewohnt und unerbittlich. Alma versuchte zuzuhören. Doch der leiernde Vortrag des Pastors war so monoton, dass sie sich bald wie betäubt fühlte und seine Worte nur bruchstückhaft aufnahm. Die Sünde liegt in der menschlichen Natur, hörte sie. Die Gnade ist Gottes Mysterium und Vermächtnis. Gnade lässt sich weder verdienen noch verspielen noch vermehren noch schmälern. Die Gnade ist ein seltenes Gut. Niemand weiß, wem sie zuteilwird. Bis zum Tode sind wir getauft. Wir preisen dich.
    Gnadenlos brannte die heiße, tiefstehende Sommersonne in Almas Gesicht. Die Trauergäste blinzelten unbehaglich. Henry Whittaker war fassungslos und wie gelähmt. Nur um eines hatte er gebeten: Sobald der Sarg am Boden der Grube angelangt wäre, möge man Stroh über den Deckel breiten. Es sollte, wenn die ersten Schaufeln Erde auf den Totenschrein seiner Frau prallten, das furchtbare Geräusch dämpfen.

Kapitel 11
    Im Alter von zwanzig Jahren war Alma Whittaker nun die

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