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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Gilbert
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landauf, landab in unermesslicher Vielfalt. Sollte sie eines Tages an Altersschwäche sterben, hätte sie wahrscheinlich nicht einmal die Hälfte dessen erfasst, was allein auf den Kalksteinen am Schuylkill vor sich ging. Halleluja! Für den Rest ihres Lebens war Alma mit Arbeit versorgt. Es war nicht nötig, die Hände in den Schoß zu legen. Es war nicht nötig, unglücklich zu sein. Möglicherweise war es nicht einmal nötig, einsam zu sein.
    Sie hatte eine Aufgabe.
    Sie würde Moospflanzen studieren.
    Wäre Alma römisch-katholischen Glaubens gewesen, so hätte sie sich nun bekreuzigt, um Gott zu danken für diese wunderbare Entdeckung, der das schwerelose Gefühl einer religiösen Offenbarung innewohnte. Doch Alma war kein Mensch von nennenswerter religiöser Inbrunst. Dessen ungeachtet schwoll ihr das Herz vor Freude und Hoffnung. Und die Worte, die alsbald über ihre Lippen kamen, klangen fast wie ein Gebet:
    »Gelobt seien die Anstrengungen und Mühen, die vor mir liegen«, sagte sie. »Wohlan!«



Teil 3
    Verstörende Botschaften

Kapitel 12
    Es war das Jahr 1848. Alma Whittaker hatte soeben die Arbeit an ihrem neuen Buch Heimische Moosgewächse Nordamerikas: eine vollständige Bestandsaufnahme begonnen. In den vergangenen sechsundzwanzig Jahren hatte sie bereits zwei Bände veröffentlicht – Heimische Moosgewächse Pennsylvanias: eine vollständige Bestandsaufnahme und Heimische Moosgewächse des Nordostens der Vereinigten Staaten: eine vollständige Bestandsaufnahme , zwei ausführliche, umfassende Studien, die Almas alter Freund George Hawkes aufwending und ansprechend verlegt hatte.
    Die botanische Fachwelt hatte Almas Publikationen freundlich aufgenommen. In einigen der seriöseren Zeitschriften waren schmeichelhafte Rezensionen erschienen, und Alma galt als Koryphäe der Bryophyta -Taxonomie. Dazu hatte ihr nicht nur das Studium der Moose von White Acre verholfen; Alma hatte sich darüber hinaus immer wieder Moosproben aus aller Welt beschafft, die sie anderen Sammlern abkaufte, abschwatzte oder sie gegen Pflanzen aus ihrem Besitz eintauschte. Für Alma ein leichtes Spiel: Sie kannte sich im Pflanzenimport aus, und Moos ließ sich problemlos transportieren. Getrocknet und in Kisten verpackt auf ein Schiff verfrachtet, überstand es mühelos jede Reise. Weil Moos wenig Raum benötigte und ein verschwindend geringes Gewicht hatte, nahmen die Kapitäne es bereitwillig als Beiladung mit. Es vermoderte nie. Aufgrund seiner bemerkenswerten Eignung für den Transport wurde getrocknetes Moos schon seit Jahrhunderten als Verpackungsmaterial verwendet. So hatte Alma denn auch zu Beginn ihrer Forschungen in den väterlichen Lagerhallen am Hafen Hunderte von Moosarten aus allen Teilen der Welt entdeckt, achtlos in dunkle Ecken oder verwitterte Kisten gestopft und mit völliger Nichtachtung gestraft – bis Alma sie unter ihr Mikroskop legte.
    Dank solcher Funde und ihrer Importe war es Alma im Laufe dieser vergangenen sechsundzwanzig Jahre gelungen, ein mit nahezu achttausend Moosarten einzigartiges Herbarium zusammenzutragen, das sie auf dem trockenen Heuboden der Remise verwahrte. Ihr Wissensfundus im Bereich der allgemeinen Bryologie war beeindruckend, obschon sie Pennsylvania niemals verlassen hatte. Sie korrespondierte mit Botanikern aus aller Welt, von Feuerland bis in die Schweiz, und verfolgte aufmerksam die komplizierten taxonomischen Debatten, die in den Fachzeitschriften darüber geführt wurden, ob dieser oder jener Neckera - oder Poponatum -Ableger eine eigene Spezies darstellte oder lediglich die Variante einer bereits dokumentierten Art war. Gelegentlich beteiligte sie sich mit eigenen Beiträgen, die stets präzise und minutiös ausgearbeitet waren.
    Überdies publizierte Alma nun unter ihrem vollständigen Namen. Sie war nicht mehr »A. Whittaker«, sondern schlicht »Alma Whittaker«. Ohne Zusatz irgendwelcher Initialen, die einen akademischen Grad oder die Mitgliedschaft in einer distinguierten wissenschaftlichen Vereinigung bewiesen hätten. Sie war nicht einmal eine »Mrs« mit allem, was dieser Titel einer Dame an Würde verlieh. Dass sie eine Frau war, hatte sich inzwischen freilich herumgesprochen. Es spielte de facto keine Rolle. Moos war kein Wissensgebiet, um das man wetteiferte, und vielleicht war deshalb der Widerstand gegen Almas Versuche, in dieser Domäne Fuß zu fassen, relativ gering. Deshalb, und sicherlich auch aufgrund ihres eisernen Beharrungsvermögens.
    Je tiefer Alma im

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