Das Wesen. Psychothriller
haben die Fotos der Mädchen schon mit allen Vermisstenakten verglichen?«
»Natürlich, das habe ich zuerst gemacht. Und auch die Todesfälle. Nichts.«
Ich schob meinen Stuhl zurück, woraufhin Wolfert einen erschrockenen Schritt zur Seite machte. »Ich möchte, dass Sie jetzt zur Chefin gehen und ihr diese Indizien vorlegen, okay? Ich … hab noch was zu erledigen.«
Wolfert nickte, griff sich die Fotos von meinem Schreibtisch und wandte sich ab, offensichtlich froh, dass nicht ich Kriminaloberrätin Biermann die Neuigkeiten überbringen wollte, sondern er selbst es tun konnte. Als er schon an der Tür war, rief ich: »Kommissar Wolfert!«, woraufhin er so abrupt stehen blieb, als wäre er gegen eine Glaswand gelaufen. »Das war sehr gute Arbeit.« Er grinste stolz und verließ das Büro.
Langsam schwirrte mir der Kopf, und ich fragte mich, warum mir dieses gottverdammte Detail nicht aufgefallen war, ich war doch wirklich nahe genug dran gewesen. Aber manchmal … Das Telefon läutete. Mit einer schnellen Bewegung hielt ich mir den Hörer ans Ohr und sagte: »Hallo Bernd, was hat sie gesagt? Gibt’s was Neues?«
Für einen kurzen Moment herrschte Stille, dann sagte eine wohlbekannte Stimme: »Ich bin’s. Du hattest angerufen.« Mel. Gerade hatte ich mich noch so sehr danach gesehnt, ihre Stimme zu hören, aber nun kam ihr Anruf wirklich in einem ungünstigen Moment. »Was wolltest du denn?«, fragte sie ungeduldig, als ich nicht antwortete. »Ich … ach, nichts Besonderes. Ich wollte nur hören, wie’s dir geht und … Mel, es ist jetzt gerade ungünstig. Ich erwarte einen wichtigen Anruf von Bernd. Können wir vielleicht später …«
»Entschuldigen Sie die Störung, Herr Hauptkommissar«, sagte sie. »Aber
Sie
haben
mich
angerufen, wenn ich mich recht erinnere.« Ich konnte nicht einmal einschätzen, ob es belustigt oder verärgert geklungen hatte, so sehr surrte mir der Kopf.
»Sei bitte nicht böse, Mel. Ich erkläre dir alles später, aber jetzt müssen wir auflegen, ja?«
»Ich bin nicht böse, Alex«, sagte sie. »Ich weiß doch, was bei euch im Moment los ist.«
»Nein, das weißt du nicht.« Erst, als ich meine eigene Stimme hörte, wurde mir bewusst, dass ich es nicht nur gedacht, sondern laut ausgesprochen hatte. »Was weiß ich nicht?«
»Ach, es … es geht um Luisa, Bernds Tochter. Sie ist entführt worden, Mel.«
»Oh mein Gott. Entführt? Ist das sicher … ich meine, woher wisst ihr das?«
Ich atmete tief durch und erzählte ihr alles in Kurzform – bis auf Nicoles seltsamen Anruf, Wolferts Entdeckung und Menkhoffs Beurlaubung. Als ich meinen knappen Bericht beendet hatte, sagte Mel schluchzend: »Wie furchtbar. Die arme Teresa. Sie und Bernd tun mir so leid. Aber Luisa wird doch … Meinst du, dass sie …«
»Ja, ich glaube, sie lebt noch.« Ich verzichtete darauf, ihr zu sagen, dass Teresa wahrscheinlich noch immer nichts von der Entführung ihrer Tochter wusste. »Mel, das ist alles sehr schlimm, und die Zeit drängt. Ich muss Schluss machen, okay?«
»Ist gut.« Es hörte sich so kläglich an, dass ich sie gerne in den Arm genommen und ihr versichert hätte, dass wir Luisa bald unbeschadet finden würden. Die Chancen sanken allerdings dramatisch.
Mein Handy vibrierte in der Hosentasche. »Na endlich, Bernd, wie sieht’s aus?«
»Ich weiß jetzt genug. Wir müssen sofort handeln. Hilfst du mir, Alex? Keine Zeit für Erklärungen. Nur ja oder nein.«
Ich hielt den Atem an, meine Gedanken rasten. Ein Verdacht. Keine Erklärungen. Auf der anderen Seite die neuen Indizien, die Wolfert … Ich hatte keine Wahl. »Ich helfe dir. Wo bist du?«
»Im Auto. In genau zwei Minuten vor dem Präsidium. Bis gleich.« Er hatte aufgelegt. Nervös wie selten zuvor sprang ich auf, blieb aber unschlüssig neben meinem Stuhl stehen. Die Chefin. Ich musste ihr von dem Anruf erzählen. Aber … Ich hatte keine Zeit mehr, musste noch vier Stockwerke runter. Mit ein paar großen Schritten war ich aus dem Büro heraus und eilte durch den Flur. Gott sei Dank war Wolfert wohl gerade bei Ute Biermann im Büro. Wenn ich einem von beiden in diesem Moment begegnet wäre, hätte ich Menkhoff höchstwahrscheinlich verpasst.
Als ich durch die Glastür ins Freie trat, fuhr er gerade mit seinem Privatwagen, einer schon etwas in die Jahre gekommenen silberfarbenen E-Klasse, auf den Parkplatz. Ich ging ihm entgegen, und als er neben mir anhielt, stieg ich ein. Ohne mich anzusehen, fuhr Menkhoff
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