Das Wesen. Psychothriller
kamen. In dieser Woche war sie morgens aber schon früher da, um Luisa fertig machen und in den Kindergarten bringen zu können. Teresa Menkhoff arbeitete als Oberärztin am Aachener Klinikum und hielt sich gerade zu einem sechstägigen Ärztekongress in New York auf.
Luisa strahlte mich an, als ich in die Küche kam. »Hallo, Alex, schau mal, ich esse Müsli, genau wie Papa immer.« Die große Lücke, wo bis vor etwa vier Wochen noch ein Schneidemilchzahn gewesen war, ließ sie so lustig aussehen, dass ich jedes Mal lachen musste, wenn ich sie sah. Frau Christ bot mir einen Kaffee an, ich setzte mich an den Tisch und sah Luisa beim Essen zu. Sie hatte die Müslipackung vor sich auf dem Tisch aufgebaut und betrachtete fasziniert die bunten Bilder darauf, während sie Löffel für Löffel das Müsli in sich hineinschaufelte. Sie glich ihrer Mutter auf verblüffende Weise. Nicht nur ihr Gesicht sah genau so aus, wie man sich Teresa vierzig Jahre früher vorstellen konnte, auch die Haare waren in Farbe und Schnitt eine Kopie der Frisur ihrer Mutter.
Bernd und Teresa hatten sich Anfang 2000 auf einer Geburtstagsfeier kennengelernt. Als ich sie zum ersten Mal zusammen sah, freute ich mich sehr für ihn. Eine schlimme Zeit lag hinter ihm, und ich hatte ebenso wie unsere Kollegen fast die Hoffnung aufgegeben, dass er überhaupt noch einmal eine Frau nahe genug an sich heranlassen würde, dass daraus mehr als eine flüchtige Bekanntschaft werden konnte. Im Sommer 2001 hatten die beiden dann geheiratet.
Luisa grinste mich an. »Papa hat noch keine Hose an.« Sie war einfach bezaubernd.
»Stimmt. Aber gleich.«
Mel und ich hatten nach unserer Hochzeit überlegt, dass wir uns mit dem Thema Kinder noch ein paar Jahre Zeit lassen wollten. Als wir dann 2005 beschlossen, dass der richtige Zeitpunkt gekommen war, wollte es nicht klappen, aber ihr Gynäkologe erklärte, es sei alles mit ihr in Ordnung, das sei nicht ungewöhnlich. Wenn eine Frau so viele Jahre die Pille genommen habe, dann könne es schon eine Weile dauern. Nach über einem halben Jahr ging auch ich zum Arzt, der mir aber attestierte, auch ich sei gesund und zeugungsfähig. Trotzdem wollte es mit der Schwangerschaft einfach nichts werden. Insgeheim begann ich, mich mit dem Gedanken abzufinden, dass wir wohl kinderlos bleiben würden, was ich allerdings Mel gegenüber niemals zugegeben hätte. Sie war 35 und konnte durchaus noch ein paar Jahre hoffen, dass es doch noch klappte. Und vielleicht …
Menkhoff kam in die Küche, drückte seiner Tochter einen Kuss auf den Mund und wandte sich an mich. »Von mir aus können wir.«
Ich stürzte den Rest Kaffee herunter, der mittlerweile nicht mehr sehr heiß war, verabschiedete mich von Frau Christ und Luisa und verließ hinter meinem Partner die Küche.
Auf dem Weg zum Präsidium erzählte ich ihm von Mels Idee, Dr. Lichner könnte seine Tochter vielleicht vor deren Mutter verstecken. Menkhoff hielt offensichtlich nicht viel davon, war aber mit mir einer Meinung, dass wir als Erstes versuchen sollten, die Frau ausfindig zu machen.
Im Flur des dritten Stocks kam uns Jens Wolfert entgegen, unser jüngster Kollege. Er war ein großer, schlaksiger Kerl, seine braunen Haare waren so dick, dass sie an Wolle erinnerten, obwohl sie relativ kurz geschnitten waren. Er gehörte erst seit wenigen Wochen zur MK 2 und wurde von niemandem wirklich ernst genommen. Das hatte sicher ein Stück weit damit zu tun, dass er der Sohn von Staatssekretär Peter Wolfert war, ständiger Vertreter des Justizministers. Das roch für die meisten förmlich nach Vetternwirtschaft. Mehr aber als das lag es wohl daran, dass Jens Wolfert keine Gelegenheit verstreichen ließ zu erwähnen, wer sein Vater war, und dass er obendrein offenbar die Vorstellung hatte, wann immer Menschen sich begegneten, müssten sie ohne Unterbrechung reden.
»Einen wunderschönen guten Morgen«, begrüßte er uns überschäumend, »die Chefin sucht Sie schon die ganze Zeit. Sie hat schon alle Kollegen nach Ihnen gefragt. Übrigens – ich habe schon von gestern Abend gehört. Eine Kindesentführung, ein ganz großer Fisch, sozusagen. Meinen herzlichen Glückwunsch. Ich freue mich, dass ich daran teilhaben darf, wenn …« Menkhoff blieb stehen und wandte sich mit überraschter Miene zu mir um. »Warst du gestern Abend etwa noch zum Angeln? Warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Haha«, machte Wolfert. »Ein wirklich ausgesprochen toller Witz, Herr
Weitere Kostenlose Bücher