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Das Wesen. Psychothriller

Das Wesen. Psychothriller

Titel: Das Wesen. Psychothriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arno Strobel
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und eingesteckt hatte, passte nicht in das Schloss der Eingangstür. Für die Haustür musste es natürlich einen separaten Schlüssel geben. Uns fehlte die Zeit, lange zu diskutieren, deshalb drückte ich kurzerhand auf die untere der beiden Klingeln.
    Der Mann, der uns nach einer Weile öffnete, schob einen gewaltigen, kugelförmigen Bauch vor sich her. Die im Verhältnis dazu viel zu dünnen, kurzen Beine und Arme ließen ihn wie eine Karikatur seiner selbst aussehen. Er mochte Anfang sechzig sein und trug eine Jeans, deren Bund unter der Trommel seines Bauches verborgen war. Seine schlaffen Wangen waren von einem graubraunen Stoppelfeld überzogen, und die Art, wie er uns ansah, ließ mich vermuten, dass er in jüngerer Vergangenheit schlechte Erfahrungen mit Drückerkolonnen oder übereifrigen Außendienstlern gemacht hatte.
    »Guten Tag«, sagte ich, während Menkhoff das Ledermäppchen mit seinem Ausweis aus der Tasche zog. »Mein Name ist Alexander Seifert, Kripo Aachen, mein Kollege ist Kriminalhauptkommissar Menkhoff.«
    »Aha«, antwortete der Mann – auf dem handgeschriebenen Papierstreifen an der Klingel stand »W. Merten« – und betrachtete Menkhoffs Ausweis mit deutlichem Widerwillen.
    »Wohnt hier Dr. Joachim Lichner?«, fragte ich ihn, bemüht, mir meine Ungeduld nicht anmerken zu lassen.
    »Haben Sie auch so was?« Er deutete auf Menkhoffs Ausweis, und ich nickte. Nachdem auch ich mich ihm gegenüber legitimiert hatte, sagte W. Merten: »Und? Was wollen Sie von ihm?«
    »Nichts«, antwortete Menkhoff, bevor ich etwas sagen konnte. »Dr. Lichner ist seit gestern in Arrest. Wir möchten uns seine Wohnung ansehen. Den Schlüssel haben wir.«
    »Arrest? Aha. Und warum?«
    »Das geht Sie nichts an.«
    W. Merten stellte sich breitbeiniger hin und verschränkte die Arme vor der Brust, was ziemlich gequält wirkte, denn seine Arme waren zu kurz, um sie bequem vor der Brust verschränken zu können.
    »Und? Durchsuchungsbefehl?«
    »Sind Sie der Eigentümer des Hauses?«, fragte Menkhoff, und ich hörte den Unterton des noch unterdrückten Ärgers, der von seiner Stimme mitgetragen wurde.
    »Mieter.«
    »Dann geht Sie auch ein Durchsuchungsbeschluss nichts an.« Menkhoff machte einen Schritt nach vorne, aber W. Merten sah offenbar keine Veranlassung, den Eingang freizugeben, was nicht sehr klug von ihm war. Ich sah den roten Schimmer, der sich auf die Wangen meines Partners legte. »Gehen Sie mir gefälligst aus dem Weg, Sie Witzfigur«, schrie er den Mann in einer solchen Lautstärke an, dass W. Merten mit einem Satz den Weg freimachte, wie ich ihn dem kleinen dicken Mann nicht zugetraut hätte. Als wir die Treppe zum ersten Stock hochstiegen, wurde unten eine Wohnungstür zugeknallt.
    »Sind wir eigentlich nur noch von Psychopathen umgeben?«, knurrte Menkhoff, als wir vor der oberen Wohnungstür angelangt waren, und steckte den Schlüssel ins Schloss. Er passte.
    Die Wohnung war mit beigefarbenem Velours-Teppichboden ausgelegt. Das etwa 30 Quadratmeter große Wohnzimmer wurde dominiert von einer schwarzen Sitzgruppe aus einem weich aussehenden Stoff, die wie eine Burg die Raummitte beherrschte. Die Wände waren durchgängig mit Raufasertapete beklebt, drei davon waren in einem hellen Gelbton gestrichen und eine in einem dunklen Rot. Vereinzelte, rahmenlose Drucke zeigten bis zur Unförmigkeit abstrahierte Gestalten in surrealistischer Umgebung. Ein Sideboard sowie ein großer Schrank, beide aus hellem Holz – ich schätze, es war Buche – und mit Glaseinsatz, rundeten die Einrichtung ab. In der Mitte des Schrankes standen auf einem offenen Regal Bücher, die nach medizinischer Fachliteratur aussahen. Das Fenster, das die Dachschräge großflächig unterbrach, ließ ungehindert das Tageslicht in den Raum strömen und verlieh der Farbkomposition einen finalen, sommerlichen Anstrich. Im Gegensatz zu der Bruchbude in der Zeppelinstraße war diese Wohnung auch noch peinlich sauber und die Möbel offensichtlich relativ neu.
    Alles in allem wirkte die Wohnung ganz anders, als ich mir das Heim eines Mannes wie Joachim Lichner vorgestellt hatte.
    Menkhoff schien es ähnlich zu gehen, denn er sagte: »Ich möchte wetten, Lichner hat die Wohnung fertig möbliert gemietet.«
    Wir standen noch einen Moment am Eingang zum Wohnzimmer und sahen uns um. In der Zeppelinstraße hatte sich alles nach dunklen Geheimnissen angefühlt, nach Verkommenheit und Verderben. Nun, beim Anblick der frischen Farben und der

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