Das Wesen. Psychothriller
sonderbar, … geisteskrank.«
Ich hob die Schultern. »Sie hat ein kleines Mädchen aus dem Kindergarten entführt und meint, es vor dem Vater beschützen zu müssen, weil die beiden ein Geheimnis haben. Ja, ich finde das seltsam und auch geisteskrank.«
»Glauben Sie, dass sie die Wahrheit sagt? Hat sie Ihrer Meinung nach Herrn Menkhoffs Tochter bei sich?«
»Ja, ich denke schon. Sie redet seltsames Zeug, aber ich finde, wir sollten grundsätzlich ernst nehmen, was sie sagt.«
Ute Biermann schien kurz über etwas nachzudenken, dann stand sie auf, ging zu ihrem Schreibtisch und öffnete eine Schublade. Sie nahm ein gefaltetes Blatt heraus und reichte es mir herüber. »Das ist eben unten am Eingang abgegeben worden. Ein Junge hat es gebracht und ist gleich wieder verschwunden.«
Ich nahm das Blatt und faltete es auseinander. Es standen nur wenige Wörter in etwas krakeliger Handschrift darauf.
Ich habe sie beschützt. damals
Nicht Joachim.
Fragen Sie Bernd Menkhoff
57
24. Juli 2009, 16.31 h
Ich las es mehrmals, und als ich von dem Blatt wieder aufsah, sagte KOR Biermann: »Was denken Sie darüber, Herr Seifert?«
Menkhoff hatte ihr ganz sicher nichts von dem Haargummi erzählt, als er ihr über den Anruf berichtet hatte. Hätte sie es gewusst, wäre ihre Reaktion anders ausgefallen.
»Tja, ich weiß nicht …«, begann ich zögerlich und versuchte, Zeit zu schinden.
»Was wissen Sie nicht, Herr Kollege?«, hakte sie nach und sah mich dabei forschend an. »Sie sind Hauptkommissar Menkhoffs Partner. Können Sie sich einen Reim darauf machen, was damit gemeint ist oder nicht?« Ich spürte, dass meine Schweißdrüsen die Produktion aufgenommen hatten. Es würde nicht lange dauern, bis sich auf meiner Stirn ein glänzender Film bilden würde. Fieberhaft überlegte ich, was ich tun sollte. Natürlich war ich verpflichtet, ihr alles zu sagen, was ich wusste. Immerhin bestand die Möglichkeit …
Ein kurzes, hartes Klopfen unterbrach meine Gedanken. Bevor Ute Biermann darauf reagieren konnte, wurde die Tür geöffnet, und Menkhoff kam herein. Als er mich sah, blieb er aber abrupt stehen. Sein Blick flog herüber zu unserer Chefin und wieder zurück zu mir. »Ach«, machte er und stemmte die Hände in die Seiten. »Du konntest es wohl nicht mehr abwarten, oder wie? Hast du schon deine kruden Theorien von –«
»Nichts hab ich«, fiel ich ihm ins Wort, »Frau Biermann wollte mich sprechen.«
Schräg hinter mir gab es einen Knall, der mich zusammenfahren ließ. Erschrocken sah ich zu unserer Chefin herüber. Noch immer halb auf der Schreibtischkante sitzend, hatte sie mit der Handfläche auf die Oberfläche geschlagen. »Was ist hier eigentlich los?«, fragte sie scharf und sah Menkhoff an. »Welche Theorie soll Herr Seifert mir erzählt haben, Hauptkommissar Menkhoff?«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist schon lange her. Es geht um den Mord an dem Mädchen, den Lichner ’94 begangen hat. Das wird mein …
Partner
Ihnen sicher gleich erklären.« Er sprach das Wort aus, als sei es eine Beleidigung. »Ich versuche die ganze Zeit, diese Frau in Spanien zu erreichen, weil ich hoffe, dass sie mir vielleicht was über Nicole sagen kann, was mir weiterhilft. Bisher Fehlanzeige. Mir rennt die Zeit davon, und ich wollte wissen, ob es was Neues aus der Fahndung gibt.«
Kriminaloberrätin Biermann sah mich an, als könne sie in meinem Gesicht ablesen, wie sie reagieren sollte. Ich war gespannt, ob sie ihn auf den kurzen Brief ansprechen würde, den ich noch immer in der Hand hielt. »Also gut«, sagte sie schließlich. »Wir haben leider noch nichts. Bis auf das da.« Sie deutete mit dem Kopf zu mir herüber. »Dieser
Brief
ist eben unten abgegeben worden.«
Also doch. Ich hielt ihm das Blatt entgegen und schaffte es nicht, ihm dabei direkt in die Augen zu sehen. Mit zwei Schritten war er heran, nahm mir den Zettel aus der Hand und las die wenigen Worte mit zusammengekniffenen Augen. Dann ließ er die Hand sinken und schüttelte den Kopf. Auf seiner Stirn zeigten sich tiefe Falten. »Was soll das? Ist das von Nicole?«
»Ich dachte, Sie könnten mir das sagen«, antwortete Ute Biermann, stieß sich von der Kante ab und ging um den großen Schreibtisch herum zu ihrem Stuhl. »Da steht, der Verfasser oder die Verfasserin hat damals jemanden beschützt. Hat nicht Frau Klement von
beschützen
gesprochen? Und dann:
Nicht Joachim.
Haben Sie eine Vorstellung, was das bedeuten könnte?«
Natürlich hatte er eine
Weitere Kostenlose Bücher