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Das Wetter vor 15 Jahren

Das Wetter vor 15 Jahren

Titel: Das Wetter vor 15 Jahren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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gibt, dass man sich solche Dinge nicht zu fest wünschen soll.

Dritter Tag
     
    Literaturbeilage Herr Haas, mit dem „Wetter", das Gottschalk unabsichtlich angesprochen hat, sind wir beim Kern der Geschichte angelangt.
    Wolf Haas Ich bin eigentlich nicht unbedingt der Meinung, dass Geschichten einen Kern haben.
    Literaturbeilage Aber es lässt sich wohl schwer bestreiten, dass sich die ganze Geschichte um diesen einen Tag rankt, wo Anni und Vittorio in das Wetter geraten sind.
    Wolf Haas Kerne und Ranken - jetzt sind wir mitten in der Botanik.
    Literaturbeilage Das passt ja nicht schlecht zu dem Ausflug, den die beiden Fünfzehnjährigen an dem Tag in die Botanik gemacht haben.
    Wolf Haas Ja. Haha. Sie befinden sich in der kalauerfreien Zone!
    Literaturbeilage Ist mir noch gar nicht aufgefallen. Dafür ist mir beim Lesen aufgefallen, dass Sie an dieser entscheidenden Stelle wieder einmal auf einen Nebenschauplatz ausweichen. Die Stromautobahn, unter der die beiden jungen Wanderer durchgehen, bevor sie in das Gewitter geraten.
    Wolf Haas Das war schon ein Glücksfall für mich als Autor. Dass der Weg, den die beiden an dem Tag gegangen sind -
    Literaturbeilage - zum Schmugglerlager hinauf -
    Wolf Haas - ja, der Weg zum Schmugglerlager hinauf, dass der unter der Stromautobahn durchführt. Nach der Stromautobahn ist es dann ja gar nicht mehr weit bis zum Schmugglerlager.
    Literaturbeilage Ein Glücksfall, weil Sie dadurch die Entladung der Blitze in der künstlichen Elektrizität spiegeln konnten. Sie mögen das Natürliche ja nicht so.
    Wolf Haas Das Natürliche mag mich ja auch nicht.
    Literaturbeilage Ich versuche nur zu verstehen, warum Ihnen die Stromautobahn so wichtig ist.
    Wolf Haas Ich weiß nicht, haben Sie schon einmal so eine Stromautobahn in den Bergen gesehen?
    Literaturbeilage Ich glaube, nachdem ich Ihr Buch gelesen habe, kann ich's mir ganz gut vorstellen.
    Wolf Haas Das hat wirklich was. In Österreich sagt man „entrisch". Etwas, das „enten" ist, befindet sich „drüben", auf der anderen Seite.
    Literaturbeilage Also jenseitig.
    Wolf Haas Ja, gespenstisch irgendwie.
    Literaturbeilage An dem Tag, wo die beiden Kinder ihre Unschuld verlieren, gehen sie zum ersten Mal unter der Stromautobahn durch.
    Wolf Haas Unschuld verlieren ist gut. Also da muss ich jetzt einmal kurz protestieren. Der Roman erzählt ja nicht die Geschichte von einem Liebespärchen, das auf den Berg wandert und dabei, zwinker zwinker, erstmals unter der Stromautobahn durchgeht, vor der sie sich bisher immer gefürchtet haben.
    Literaturbeilage Sondern?
    Wolf Haas Sondern! Es geht bei der Stelle mit der Stromautobahn doch vor allem einmal um die Insekten! Ein Gewitter kündigt sich immer durch den Blutrausch der Insekten an. Die beiden gehen wie fast jeden Tag in diesem letzten Sommer bis zur ersten Bank hinauf. In aller Unschuld sozusagen.
    Literaturbeilage Richtung Schmugglerlager.
    Wolf Haas Ja, Richtung Schmugglerlager schon. Aber nur die ersten paar hundert Meter. Die erste Bank ist noch weit vor der Stromautobahn. Sogar die dritte Bank ist noch vor der Stromautobahn. Die erste ist noch viel näher beim Dorf als beim Schmugglerlager. Die beiden gehen fast jeden Tag irgendwann einmal zur ersten Bank hinauf, besonders in ihrem letzten Sommer. Aber sie gehen praktisch nie weiter. Ganz selten einmal zur zweiten Bank. Nie zur dritten, die schon fast bei der Stromautobahn oben steht.
    Literaturbeilage Bereits bei der ersten Bank sind sie unbeobachtet.
    Wolf Haas Und bis zur ersten Bank ist es wirklich nicht weit und noch nicht sehr steil. Das ist ein fünfzehnminütiger Spaziergang. Aber dieses Mal rinnt ihnen schon bei der ersten Bank der Schweiß in Bächen herunter, weil es eben schon so unglaublich schwül ist. Und die Insekten gehen auf die beiden los.
    Literaturbeilage Fand ich übrigens etwas gewagt, dass Sie Annis zarte Haut an der Stelle so betonen.
    Wolf Haas „Zarte Haut" hab ich aber nicht geschrieben. Sondern „dünne Haut".
    Literaturbeilage Ja richtig. „Ihre Haut war so dünn, dass die Insektenstachel ohne jede Anstrengung eindringen und ihr Blut - "
    Wolf Haas Einmal wird mir vorgeworfen, dass Anni fast nicht vorkommt in meinem Buch, dass sie nicht ausreichend zu Wort kommt und so weiter, reine Projektionsfläche, und dann ist es wieder zu viel.
    Literaturbeilage Ich weiß nicht, ob das würklich ein Argument ist. Dass Sie bei einer jungen Frau, die sonst kaum charakterisiert wird, ausgerechnet ihre zarte Haut

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