Das Wetter vor 15 Jahren
Und Gottschalk reagiert eben in seiner launigen Art und sagt: „Ein Wetter ist immer, aber was für ein Wetter, das ist die Frage." Und Herr Kowalski wiederholt: „Ein Wetter." Und da klingelt's bei Gottschalk.
Literaturbeilage Ein Gewitter.
Wolf Haas Genau. Und für diese Schlagfertigkeit bewundere ich Gottschalk wirklich. Meine Freundin sagt immer, sie kann überhaupt nicht verstehen, warum ich mir das anschau. Aber solche Momente, die haben schon was. Wie Gottschalk diesen peinlichen Moment in eine Pointe wendet. Indem er die ganze Schuld auf sich nimmt.
Literaturbeilage Er als Bayer!
Wolf Haas Genau. „Ich als Bayer", sagt er. „Und verstehe Wetter nicht", und so weiter. Da werde er sich zu Hause was anhören können von seinen alten Freunden, „Gottschalk, du gfeider Preiß" und so weiter.
Literaturbeilage Außer diesen beiden Worten hat Herr Kowalski ja zu der fünften Frage überhaupt nichts gesagt!
Wolf Haas „Ein Wetter." Das hat Gottschalk als Antwort gelten lassen. Herr Kowalski ist dann ja sogar Wettkönig des Abends geworden. Das wird erst gegen Ende der Sendung gevotet, das hat er dann schon wieder richtig mitbekommen. Aber wie Gottschalk seine Witze über seine bayrischen Freunde gerissen hat, die ihn fertig machen werden, weil er „Wetter" nicht gleich als „Gewitter" verstanden hat, das hat Herr Kowalski überhaupt nicht registriert. Komplett die Erinnerung gelöscht! Als Riemer ihm später das Video zeigte, ist er aus allen Wolken gefallen. Er hat am Video diese Passage mit Gottschalks bayrischen Freunden zum ersten Mal gehört und gesehen, als wäre er nicht dabei gewesen!
Literaturbeilage Sie schreiben, er wollte vor Scham im Erdboden versinken. Mir war nicht ganz klar, ob er sich schämte, weil er die Antwort nicht wusste, oder -
Wolf Haas Weil er sich aufgedeckt fühlte. Er glaubte, jeder weiß jetzt, warum er hier steht. Was an diesem Tag, als er Anni zum letzten Mal gesehen hat, passiert ist!
Literaturbeilage Wie die beiden in das „Wetter" geraten sind und -
Wolf Haas Ja klar, er hat sich bloßgestellt gefühlt.
Literaturbeilage Obwohl Gottschalk gar nichts wusste von der eigentlichen Tragödie.
Wolf Haas Nein, natürlich nicht. Das war ja nur eine Sache zwischen Anni und ihm.
Literaturbeilage Mir scheint ja, oder lassen Sie es mich so sagen: Ich habe die These, dass Scham überhaupt das schamvoll versteckte Thema der ganzen Geschichte ist.
Wolf Haas So weit würde ich nicht gehen. Aber in dem Moment war es eben das dominante Gefühl. Er wollte vor Scham im Erdboden versinken.
Literaturbeilage Mit dem Wunsch, im Boden zu versinken, endet das Kapitel. Aber etwas sehr überraschend fand ich es dann doch, dass er in dieser extremen Stresssituation, mitten in seinem Blackout vor Millionen von Fernsehzuschauern, ausgerechnet an die Bürgerinitiative denkt, mit der er sich beruflich in den letzten Jahren herumschlagen musste.
Wolf Haas Noch dazu, wo es vor allem Riemers Aufgabe war, die Leute von Bodenlos in Schach zu halten.
Literaturbeilage Das Kapitel endet mit den Zeilen: „In diesem Moment wünschte ich mir nichts so sehr, als dass unsere Freunde von der Bürgerinitiative Bodenlos doch Recht hätten."
Wolf Haas „Freunde" ist gut.
Literaturbeilage Und weiter heißt es: „Wie schön wäre es gewesen, wenn sich jetzt ein schlecht verfüllter Schacht unter der Westfalenhalle geöffnet und mich gnädig verschluckt hätte."
Wolf Haas Ja, die Schamgefühle. Es ist ihm wirklich nicht gut gegangen in diesem Moment. Er hat gar nicht mitgekriegt, wie das Publikum ihm zujubelt.
Literaturbeilage Aber Sie haben ihn hier doch auch mit klarer Absicht am Ende des Kapitels im Boden versinken lassen. Oder anders gesagt: Sein Versinken im Boden haben Sie nicht zufällig an das Kapitelende gestellt.
Wolf Haas Na ja, ein bisschen eine Vorausdeutung ist da schon drinnen.
Literaturbeilage Auf seinen bevorstehenden Untergang.
Wolf Haas Vielleicht nicht direkt auf den Untergang. Es hat mir einfach gefallen, dass er hier sozusagen im Erdboden versinkt, und am Schluss des Buches spuckt die Erde zurück sozusagen.
Literaturbeilage Ja, wobei man sagen muss. Es ist schon ein massiver Unterschied zu den Eruptionen am Schluss des Romans. Er versinkt hier ja nicht würklich. So wie Sie das sagen, klingt es ja fast so, als hätte ihn der Erdboden unter der Westfalenhalle tatsächlich verschluckt.
Wolf Haas Nein, natürlich nicht. Er wünscht es sich nur! Wobei es ja diesen Aberglauben
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