Das Wetter vor 15 Jahren
Wo er beschreibt, dass Anni zwischen zwei Sommern, also dass sie in den elf Monaten seiner Abwesenheit sozusagen von einem Mädchen zu einer Frau, also körperlich -
Literaturbeilage Ach ja richtig, die Busenstelle. Die war ja auch etwas -
Wolf Haas Jedenfalls, lange Rede, kurzer Sinn - jetzt wird mein kurzer Sinn auch schon wieder zu einer langen Rede.
Literaturbeilage Weil ich Sie unterbrochen habe.
Wolf Haas Das macht nichts.
Literaturbeilage Lange Rede, kurzer Sinn?
Wolf Haas Gottschalk hat gleich mit den Fragen losgelegt.
Literaturbeilage Fünf Fragen sind es in Ihrem Buch.
Wolf Haas Genau wie in echt. Von fünf Tagen aus den letzten fünfzehn Jahren musste er das Wetter in Farmach wissen. Und die ersten vier hat er wie aus der Pistole geschossen beantwortet. Das Publikum hat gejubelt!
Literaturbeilage Sie schreiben, er sei sogar gekränkt gewesen, dass Gottschalk ihn immer so schnell unterbrochen hat.
Wolf Haas Für den unbefangenen Fernsehzuschauer war das nicht zu erkennen. Aber wenn man es weiß, dann kann man's am Video deutlich sehen, dass er sich ärgert. Bei der ersten Frage hat Gottschalk ihn schon nach der Früh- und Tageshöchsttemperatur unterbrochen, und der Publikumsapplaus ist aufgebrandet. Da hatte Herr Kowalski für sein Gefühl noch gar nicht richtig losgelegt. Er hat sich dann bei den weiteren Fragen sogar ein bisschen zur Wehr gesetzt. Das fand ich beim wiederholten Ansehen des Bandes sehr raffiniert. Wie er absichtlich mit irgendwelchen unwichtigen Details angefangen hat. Also die zweite Frage war, glaube ich, irgendein Oktobertag.
Literaturbeilage Der zwölfte. Sie schreiben: „Damit er mich nicht wieder zu früh unterbrechen konnte, begann ich dieses Mal mit den weniger plakativen Werten."
Wolf Haas Da hat er angefangen mit Wolkenformationen, Wolkendichte und Strömungsrichtungen, Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit, Bodenreif bereits auf tausenddreihundert Metern, bis Gottschalk ihn mit den Worten „Der Mann bringt mich in Verlegenheit, das hab ich ja gar nicht in meinen Unterlagen stehen" doch noch mehr oder weniger dazu gezwungen hat, mit Temperatur und Anzahl der Sonnenminuten herauszurücken.
Literaturbeilage Sie sagen zwar, es sei eine fast protokollhafte Wiedergabe dessen, was man auf dem Video sehen kann. Aber in der Ich-Erzählung kommt ja sehr viel Innenwelt hinzu. Man erfährt aus Ihrem Buch mindestens ebenso viel über seine Gefühle in der Situation auf der Bühne der Westfalenhalle wie über den realen Ablauf oder die äußeren Dialoge. Ist das rein dichterische Phantasie, oder sind hier viele Gespräche mit Herrn Kowalski eingeflossen?
Wolf Haas Das geht auf die Gespräche zurück. Aber ich hab da natürlich auch Sachen eingebaut, die er mir in anderem Zusammenhang erzählt hat, die aber hier besser reingepasst haben.
Literaturbeilage Was zum Beispiel?
Wolf Haas Keine Ahnung. Kleinigkeiten. Bei der eben erwähnten Stelle, wo er Gottschalk hingehalten und erst auf sein Drängen Temperatur und Sonnenminuten genannt hat, lasse ich ihn im Buch herablassend kommentieren: „Temperatur und Sonnenminuten, diese beiden Götzen der Wetter-Normalverbraucher."
Literaturbeilage Und das ist von Ihnen, nicht von ihm. Da muss ich sagen, das hab ich mir schon gedacht. „Götzen der Wetter-Normalverbraucher" ist ürgendwie zu schön formuliert.
Wolf Haas Es ist eigentlich schon von ihm. Also ich könnte jetzt nicht unbedingt meine Hand dafür ins Feuer legen, aber ich glaube, „diese beiden Götzen der WetterNormalverbraucher" ist entweder von ihm oder eventuell von Riemer. Jedenfalls sicher nicht von mir. Nur hat Herr Kowalski es in einem anderen Zusammenhang gesagt, gar nicht in Zusammenhang mit dieser Gottschalk-Frage, und er hat es auch nicht über Temperatur und Sonnenminuten gesagt, sondern über Temperatur und Niederschlag.
Literaturbeilage Ist ja auch viel logischer. Temperatur und Niederschlag sind ja die Götzen von uns WetterNormalverbrauchern. „Sonnenminuten" ist fast zu theoretisch ürgendwie.
Wolf Haas Genau. Eigentlich ist das an der Stelle etwas unlogisch, aber es hat mir sonst nirgends hineingepasst, und ich wollte auf den schönen Ausdruck eben nicht verzichten. Im Nachhinein denke ich mir, ich hätte es überhaupt weglassen können. Man hat manchmal auch als Autor seine Formulierungsgötzen.
Literaturbeilage Ach, ich fand das schön. Frage drei und vier löst er genauso souverän. Und dann kommt's. Also ich muss sagen, das ist für mich die
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