Das wilde Herz der Highlands
aber inne, als er merkte, dass ein Ärmel länger war als der andere. Während der eine auf halbem Wege zwischen Ellbogen und Handgelenk endete, reichte ihm der andere bis über die Fingerspitzen. Dann erst sah er die Nadel, die an einem Faden vom noch unfertigen Saum baumelte.
„Ha!“ Amaury wies auf Nadel und Faden. „Das hat sie genäht, oder nicht? Da hast du es! Sie muss noch einiges lernen, und du solltest dankbar sein, dass Emmalene sich die Zeit nimmt, sie zu unterweisen.“
Blake funkelte seinen alten Freund wütend an. Seine Beine zitterten vor Schwäche, doch er achtete nicht darauf, trat auf Amaury zu und stieß ihm mit einem Finger gegen die Brust. „Ich habe Gesinde, das für mich näht“, grollte er. „Meine Frau ist perfekt, wie sie ist.“
„Blake?“
Er wandte den Kopf zur Seite und sah Seonaid und Emmalene auf der Schwelle stehen. Die beiden starrten Amaury und ihn an. Kurz fragte er sich entsetzt, wie viel seine Frau von dem Streit wohl mitbekommen hatte. Aber als er ihr leichtes Lächeln bemerkte, kam er zu dem Schluss, dass sie und Emmalene soeben erst hereingekommen waren.
„Was tut Ihr da?“ Seonaid trat vor und umrundete das Bett, stockte jedoch, als sie die Tunika erblickte, die er trug. Ein unmutiger Zug legte sich um ihren Mund, und Blake meinte, sie murmeln zu hören, dass sie an dem Stück wohl noch etwas arbeiten müsse. Dann aber schob sie sich zwischen ihn und Amaury und drängte ihren Gemahl zurück zum Bett. Er ließ es geschehen. Besser, er legte sich freiwillig wieder hin, als dass ihm die Beine einfach wegsackten.
„Ihr müsst erst wieder zu Kräften kommen“, beschied sie ihm. „Ihr erholt Euch gerade erst von einer schweren Wunde.“ „Aye. “ Amaurys Stimme klang kühl. „Und je eher du dich erholst, desto früher kannst du zurück nach Hause.“
„Das kann gar nicht früh genug geschehen“, knurrte Blake. Die beiden starrten sich aufgebracht an, ehe Amaury sich umdrehte und aus dem Gemach stapfte.
Seonaid und Emmalene tauschten einen verstörten Blick, wandten sich dann aber dem zu, was getan werden musste, und steckten Blake wieder ins Bett.
„Habt Ihr herausgefunden, weshalb sie so zornig aufeinander sind?“, fragte Seonaid. Sie und Emmalene standen auf dem oberen Treppenabsatz vor dem Wohnturm und beobachteten ihre Männer unten im Burghof, die einander geflissentlich ignorierten.
Blake schwang sich gerade aufs Pferd. Steif saß er im Sattel, ohne Amaury auch nur eines Blickes zu würdigen. Emmalenes Gemahl stand mit verschränkten Armen vor der untersten Stufe der Treppe und starrte ebenfalls angestrengt in eine andere Richtung. Die beiden hatten kein Wort mehr gewechselt, seit Seonaid und Emmalene in Blakes Kammer gekommen waren und Blake geknurrt hatte: „Meine Frau ist perfekt, wie sie ist.“
Seonaid hatte sich so sehr über das Kompliment gefreut, dass sie zunächst nicht bemerkt hatte, wie feindselig sich die beiden Männer beäugt hatten. Das war ihr erst aufgefallen, als Amaury in unterkühltem Ton geäußert hatte, dass Blake sich möglichst rasch erholen solle. Die Erwiderung ihres Gemahls hatte nicht warmherziger geklungen, und da war ihr aufgegangen, dass etwas nicht stimmte. Wie sehr sie sich überworfen hatten, war ihr da allerdings noch nicht klar gewesen.
Das hatte sie erst später gemerkt. Blake hatte die letzten vier Tage seiner Genesung in seiner Kammer zugebracht und darauf bestanden, dass Seonaid bei ihm blieb. Als sie versucht hatte herauszufinden, warum die beiden Männer gestritten hatten, hatte er ihr keine Antwort gegeben.
In den wenigen kurzen Wortwechseln mit Emmalene seither hatte sie erfahren, dass Amaury so mürrisch und erbost wie Blake war, aber ebenfalls jede Erklärung verweigerte. Daher hatten sich die Frauen vorgenommen, der Sache auf eigene Faust nachzugehen. Doch Emmalenes Kopfschütteln war zu entnehmen, dass sie ebenso wenig Erfolg gehabt hatte wie Seonaid.
„Nay, Amaury verschließt sich jedweder Vernunft und will über Blake nicht einmal reden.“
„Hm.“ Seonaid seufzte. Gleich würden Blake und sie nach Sherwell aufbrechen. Sechs Tage seien ausreichend, um sich zu erholen, fand er und hatte darauf bestanden, dass sie heute abreisten. Emmalene und Seonaid hatten sich bemüht, ihn wenigstens noch für ein paar Tage zum Bleiben zu bewegen, ehe er das Wagnis der Reise auf sich nahm. Sie hatten versucht, ihn zu überzeugen, indem sie ihm seine Schwäche vor Augen gehalten und darauf
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