Das wilde Herz der Highlands
sie ihn pflegte? Musste sie ihn einer vollkommen Fremden überlassen, Dame hin oder her?
Er hatte sich wohl geregt oder ein Geräusch gemacht, denn die Frau schaute plötzlich auf und sah ihn an. Ihre Augen wurden groß, achtlos warf sie das Nähzeug beiseite und beugte sich vor. „Ihr seid wach!“
Erstaunt starrte er sie an. Es dauerte einen Augenblick, bis er das Gesicht erkannte, das von Schapel und Rise - Haarreif und Schleiertuch - umrahmt war. Die Stimme aber war ihm sofort vertraut. Grundgütiger! Die dunkelhaarige Fremde an seinem Bett war seine Frau. In einem Kleid. Und sie nähte! Blake öffnete den Mund, schloss ihn wieder und öffnete ihn erneut, brachte jedoch kein Wort heraus. Er war sprachlos.
„Könnt Ihr nicht reden?“, fragte Seonaid. „Versucht es nicht, vermutlich ist Eure Kehle ausgedörrt. Ihr habt ewig nichts gegessen und getrunken. Ich hole Euch etwas Brühe. In der Küche hängt seit Tagen ein Topf über dem Feuer für den Fall, dass Ihr aufwacht. Nicht wieder einschlafen, ich bin gleich zurück.“ Blake starrte ihr nach, als sie aufsprang und aus dem Gemach eilte, wobei ihr das dunkelblaue Gewand um die Hüften schwang. Sein einziger Gedanke bestand in der Frage, was wohl mit seiner Frau geschehen war. Diese Frage sollte er sich in den kommenden Tagen des Öfteren stellen.
Seonaid zog die Kammertür hinter sich zu und lief den Gang entlang zur Treppe. Blake war zu sich gekommen! Sie konnte es kaum glauben. Endlich war ihr Gemahl aufgewacht, einfach so, ohne Vorzeichen. Sie hatte aufgeschaut, und da hatte er die Augen offen gehabt.
„Lady Seonaid, was ...?“ Lady Emmalene verharrte am oberen Treppenabsatz, als Seonaid aufgeregt den Korridor entlang auf sie zukam. „Ist er wach?“
„Aye.“
„Dem Herrn sei Dank! “ Ihre Erleichterung wich der Neugier. „Wie fühlt er sich?“, fragte sie lächelnd. „Was hat er gesagt? Gefällt ihm Euer neues Kleid?“
Seonaid blinzelte. An die Veränderungen, um die sie sich seit Tagen bemühte, hatte sie gar nicht mehr gedacht. Lady Emmalene hatte ihr überschwänglich ihre Hilfe zugesichert und die Mägde sogleich mit dem Nähen eines Kleides betraut. Sie hatte Seonaid zu einem schlichten, weniger arbeitsaufwendigen Gewand geraten. Die Frauen hatten das blaue Kleid erst vor wenigen Stunden fertiggestellt, und Seonaid hatte es angezogen und geduldig dagesessen, während Lady Emmalene ihr das Haar frisiert und eine Rise sowie ein zum Kleid passendes dunkelblaues Schapel angelegt hatte.
Sie fühlte sich unbehaglich in dieser Aufmachung, aber sie würde sich schon daran gewöhnen. Auch vermisste sie ihr Schwert, das zu tragen ihr Lady Emmalene nachdrücklich untersagt hatte.
Doch Lady Emmalene hatte noch mehr vollbracht. Sie unterwies Seonaid zudem in Fähigkeiten, die eine Dame können sollte. Zum Beispiel, wie man das Gesinde führte und was es beim Verwalten eines großen Guts zu beachten galt. Auch das Nähen gehörte dazu. In Letzterem hatte sie sich gerade geübt, als Blake zu sich gekommen war.
„Seonaid? Gefällt es ihm etwa nicht?“
„Ich weiß es nicht“, gestand sie. „Er kann nicht sprechen. Ich denke, seine Kehle ist ausgetrocknet, weil er so lange nichts getrunken hat.“
„Oh, aye, natürlich.“ Lady Emmalene machte kehrt und schritt die Treppe wieder hinab. „Bleibt nur bei ihm. Ich hole etwas Brühe.“
„Habt Dank.“ Seonaid hastete den Weg zurück, den sie gekommen war, bremste sich aber vor der Tür. „Nicht rennen und keine großen Schritte machen“, ermahnte sie sich. „Geh wie eine Dame. “ Das hatte ihr Lady Emmalene immer wieder vorgebetet, in dem Bemühen, ihr ein damenhafteres Gebaren beizubringen.
Sie nickte, öffnete die Tür und betrat die Kammer, wobei sie sich zu kleinen, gemessenen Schritten zwang, die ihr gar nicht behagten, aber Blake verdiente eine anständige Gemahlin, und eine solche kam nicht stampfenden Schrittes daher wie ein Mann.
Bemüht Euch stets um ein heiteres Lächeln. Der Alltag eines Mannes ist beschwerlich und aufreibend, und deshalb schätzt er eine Gemahlin, die seine Mühsal mit einem Lächeln zu lindern weiß.
Diese Worte ihrer Gastgeberin kamen Seonaid in den Sinn, und so setzte sie ein Lächeln auf, das, so hoffte sie, wie gewünscht wirkte. Erleichtert stellte sie fest, dass Blake nach wie vor wach und nicht wieder zurück in jenen todesähnlichen Schlummer geglitten war.
„Lady Emmalene holt Euch Brühe“, erklärte sie und mühte sich um einen sanften
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