Das wilde Herz der Highlands
sah, dass auch die übrigen Männer sich von dem Teppich befreit hatten und dabei waren, sich die Kleider glatt zu streichen. Sie riss die Augen auf, als sie Lord Rolfe und den Bischof erkannte. Nie zuvor hatte sie einen derartigen Ausdruck auf dem Gesicht des Gottesmannes gesehen. Er musterte die Äbtissin mit einer Mischung aus Abscheu und Zorn.
„Euer bischöfliche Gnaden ... “, setzte die Äbtissin mit schwacher Stimme an, aber er unterbrach sie.
„Ich habe jedes Wort gehört, während ich mich mit diesem vermaledeiten Teppich herumplagen musste. Mehrt Eure Sünden nicht dadurch, dass Ihr mich nun auch noch anlügt.“
„Aber ich, Hilflos verstummte sie.
„Ihr habt die Pforte entriegelt, auf dass jedermann hereingelangen konnte?“, half er ihr auf die Sprünge.
„Nay!“, rief sie. Offenbar hatte sie sich so weit wieder in der Gewalt, dass sie sich herauszuwinden suchte. „Schwester Blanche hat die Pforte aufgesperrt.“
„Auf Eure Anweisung hin“, stellte Seonaid fest, um zu verhindern, dass diese Frau mit heiler Haut davonkam, indem sie die Schuld auf jemand anderen abwälzte. Sie schob ihr Schwert zurück in die Scheide und wandte sich dem Bischof zu. „Schwester Blanche wollte die Pforte nicht öffnen, konnte sich dem Befehl aber nicht widersetzen. Lady Elizabeth hat gedroht, sie andernfalls in Schande nach England zurückzuschicken. Sobald Schwester Blanche der Weisung nachgekommen war, hat sie uns gewarnt.“
Das stumme Nicken des Bischofs zeigte an, dass er verstanden hatte. „Schwester Blanche hat nichts zu befürchten. Nicht sie wird in Schande nach England zurückkehren.“
Niemandem entging die Bedeutung seiner Worte, erst recht nicht der Äbtissin, die aufkeuchte, zum Bischof eilte und vor ihm auf die Knie fiel.
Seonaid schnitt eine Grimasse ob dieses würdelosen Schauspiels, wandte sich ab und schaute von Lord Rolfe zu den beiden Kriegern. Auch die trugen ihr Schwert wieder am Gürtel, wenngleich ihre Haltung nach wie vor angespannte Wachsamkeit ausdrückte. Wer der Bursche im Plaid sein musste, war leicht zu erraten. Ihr Verlobter. Wen sonst sollte Lord Rolfe bei sich haben? Zudem war Lady Helens Beschreibung des Mannes überaus treffend. Er war blond und engelsgleich schön, sofern man an derlei gefühlsduseligem Gewäsch Gefallen fand. All dies war er und mehr. Ein stattliches Mannsbild. Selbst seine Knie waren ansehnlich, stellte sie einmal mehr fest, um sogleich die Stirn ob ihrer abwegigen Gedanken zu runzeln. Schließlich war dies der Rüpel, der sie so lange hatte warten lassen; der Kerl, der aller Welt zu verstehen gegeben hatte, dass er nicht den geringsten Wunsch verspürte, Seonaid zu heiraten. Erst ein Befehl des Königs hatte ihn hergeführt, und einen solchen Mann wollte sie nicht - schon gar nicht, wenn er Engländer war. Und ein Sherwell obendrein.
Doch selbst wenn sie ihm dies alles hätte nachsehen können, ließ sich eine Tatsache auf keinen Fall übergehen - er würde an ihr als Gemahlin so einiges zu bemängeln haben. Das sagte ihr ein einziger Blick auf sein hübsches Gesicht. Ihr Verlobter war schier überirdisch und vollkommen, und gewiss wünschte er sich eine ebenso überirdische, vollkommene Frau. Seonaid machte sich nichts vor. Sie war zu groß, zu dünn und zu unweiblich, sowohl was ihr Gebaren als auch was ihre Fertigkeiten anging. Nicht einmal zum Mittelmaß gehörte sie. Sie wusste nicht, was es hieß, eine Dame zu sein, und wagte zu bezweifeln, dass sie auch nur halbwegs als richtige Frau durchgehen würde. Zu viele Jahre hatte sie ausschließlich unter Männern zugebracht. Unter Männern und Aeldra - aber die Cousine war als feine Dame ein ebenso hoffnungsloser Fall wie sie.
Nay, dachte sie beklommen, er würde sie nicht wollen ... Und es verlangte sie nicht danach, dies von ihm zu hören. Denn mochte sie auch keine Dame sein, so besaß sie doch mehr als nur ein bisschen Stolz. Und der verbot ihr, erst ewig zu warten, um schlussendlich zurückgewiesen zu werden. Seonaid forderte Aeldra mit einer Geste auf, ihr zu folgen, kehrte den Männern den Rücken zu und schritt zum Portal. Auf dem Weg hob sie die Plaids auf und warf Aeldra das ihre zu. Als sie sich wieder in Bewegung setzen wollte, schlossen sich jäh Finger um ihren Oberarm.
„Wo wollt Ihr hin?“
4. Kapitel
Seonaid verharrte und starrte ungläubig auf die Hand an ihrem Arm. Wessen Hand es war, hatte sie gewusst, noch ehe sie die samtweiche Stimme hörte, mit der Blake Sherwell in
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