Das wilde Herz der Highlands
zusammenzuzucken und warf einen Blick hinter den Wandteppich.
Seonaid war verwirrt. Die erste Aufforderung des Mannes hatte sie gedämpft durch den Teppich vernommen, sodass ihr der Akzent nicht aufgefallen war. Nun jedoch hörte sie, dass er mit englischem, nicht mit schottischem Zungenschlag sprach. Sie warf Aeldra einen verstörten Blick zu.
Auch die wirkte erstaunt, zuckte aber nur mit den Schultern.
Wieder schaute Seonaid den Mann an. Sie wollte etwas erwidern, überlegte es sich aber anders. Vielleicht war er in England aufgewachsen, das war nichts Ungewöhnliches. Viele schottische Erben wurden dort erzogen, entweder von reichen Verwandten oder sogar bei Hofe. Sie schob den Gedanken beiseite und blickte abermals zu Aeldra, wobei sie die Hand, die hinter dem Teppich verborgen war, langsam hob und den Stoff weiter oben packte. Sie sah Aeldra vielsagend an, ehe sie vortrat. Aeldra begriff, was sie plante, und tat es ihr gleich.
Gerade wollte Blake seinen Befehl wiederholen, als der Schotte diesem endlich nachkam. Oder vielmehr die Schottin, erkannte er bestürzt, als er die eindeutig weiblichen Züge ausmachte. Selbst im schwachen Kerzenschein strahlten ihre Augen eisblau. Als sich die andere Seite des Wandbehangs bewegte, drehte er den Kopf und sah eine zierliche Frau hervorgleiten. Sie war klein, blond, wohlgerundet und hübsch. Soeben wollte er sich wieder der hochgewachsenen Schottin zuwenden, als Rolfe Kenwick entsetzt aufkeuchte.
Ein flüchtiger Seitenblick enthüllte ihm Kenwicks erschrockene Miene, und als er wieder zu den beiden Frauen herumfuhr, war es bereits zu spät. Die kleine wie die große hatten den Wandbehang gepackt, sprangen vor und rissen ihn von der Aufhängung. Der riesige Teppich fiel, und Blake konnte gerade noch einen Ausfallschritt zur Seite machen, was ihn jedoch nicht rettete. Der schwere Stoff traf ihn an der Schulter und ließ ihn zu Boden gehen.
Sobald sich der Teppich aus der Halterung gelöst hatte und über die Männer senkte, rief Seonaid nach Aeldra und rannte zum Portal, fest entschlossen zu fliehen. Aeldras wütender Aufschrei ließ sie jedoch herumwirbeln. Entsetzt sah sie, dass der Wandbehang nicht alle Männer unter sich begraben hatte. Einer, ein Berg von einem Kerl, hatte wenige Schritte hinter dem Bischof gestanden und den anderen den Rücken gedeckt. Dadurch war er dem staubigen, alten Teppich entgangen, der die Übrigen gefangen hielt. Zudem war es ihm gelungen, sich Aeldra zu schnappen - vermutlich als diese an ihm hatte vorbeistürmen wollen. Nun hielt er sie von hinten gepackt, die Arme um ihre Taille geschlungen, sodass ihre Füße über dem Boden baumelten. Er schien nicht im Mindesten beeindruckt davon, dass sie ihn kratzte und wild auf ihn eintrat. Aeldra saß fest.
Fluchend schaute Seonaid sich nach etwas um, mit dem sie ihrer Cousine helfen konnte, entdeckte jedoch nichts Geeignetes. Sie gab die Suche auf, als Aeldra abermals schrie, dieses Mal warnend. Seonaid fuhr herum und sah, dass der Mann im Plaid sich unter dem Teppich hervorgekämpft hatte und auf sie zukam.
Sie kippte ihm gerade eine der Kirchenbänke in den Weg, als die Tür zur Kapelle aufschwang und Lady Helen und Schwester Blanche hereinstürzten. Triumph zeichnete sich auf ihren Mienen ab, der sogleich in Entsetzen umschlug, als sie das Chaos erfassten, in das sie hineingeplatzt waren. Seonaid hielt sich nicht damit auf, das Offensichtliche zu erklären, sondern griff sich die beiden mitgebrachten Schwerter und befahl den Frauen, die Kapelle zu verlassen. Dann stellte sie sich dem Mann im Plaid.
Blake verharrte überrascht, als er sich zwei Schwertklingen gegenübersah. Die Schottin hielt die Schwerter, als wisse sie damit umzugehen, was sein Augenmerk auf den Umstand lenkte, dass die Waffen kleiner und leichter waren als gewöhnliche Schwerter. Offenbar waren sie eigens für die Frau vor ihm und den Wildfang gefertigt worden, der Little George zu schaffen machte.
„Moment mal“, sagte Blake, als ihm plötzlich dämmerte, wen er da vor sich hatte. Zunächst hatte er angenommen, dass die Gestalt in der Kapelle ein Mann und noch dazu der war, der ins Kloster eingedrungen war. Nun allerdings, da sich die Gestalt als Frau entpuppt hatte, sah er, dass sie genau der Beschreibung entsprach, die Rolfe Kenwick ihm von seiner Verlobten geliefert hatte. Ihm ging auf, dass er niemand anderem als Seonaid Dunbar gegenüberstand. Sie musste es sein, zu sehr glich sie Kenwicks Schilderung. Eisblaue
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