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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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sagte: »Robin fängt im Oktober im Girton College an, Ted. Sie studiert Altphilologie.« Der Stolz in Richards Ton war deutlich zu hören, doch Robins Miene wurde noch finsterer, und sie entfernte sich, um nichts mehr hören zu müssen.
    Daisy, die ihr folgte, flüsterte: »Ich weiß, daß Ted einen immer necken muß, Robin, aber …«
    »Das ist es nicht. Es ist nur …« Je länger sie darüber nachdachte, desto größer wurde ihr Widerwille, die nächsten drei Jahre Altphilologie zu studieren. Sie stellte sich das Girton College sehr ähnlich ihrer Schule vor: borniert, beengend, eine Brutstätte intensiver Freundschaften und gleichermaßen überhitzter Eifersüchteleien und Ressentiments.
    Aber sie konnte die wahre Ursache ihrer plötzlichen schlechten Laune unmöglich nennen. So murmelte sie statt dessen: »Es ist immer das gleiche. Die Männer sitzen in den Ausschüssen und halten die Reden, und die Frauen kochen den Tee und veranstalten die Wohltätigkeitsbasare.«
    »Öffentlich reden zu müssen, wäre mir furchtbar, Robin, mein Schatz«, sagte Daisy behutsam. »Und dein Vater hat wirklich nicht die Zeit herumzulaufen und durchlöcherte Pullover zu sammeln.«
    »Du hast die Zeit dazu auch nur, weil du keinen Beruf hast. Wenn du arbeiten würdest wie Pa, hättest du die Zeit nicht.«
    »Dann ist es ja gut, daß ich nicht arbeite«, antwortete Daisy leichthin. »Wenn wir keine Basare und Banketts veranstalten würden, brächten wir das Geld für den Vortragssaal nicht zusammen. Und dann könnte keiner Reden halten.«
    Daisys Logik war wie immer unschlagbar. Robin knallte die zarten Porzellantassen auf ein Tablett und stürmte in die Küche. Dann schlüpfte sie durch die Spülküche hinaus und lief über den mondbeschienenen Rasen zum Winterhaus.
    Als sie dort, die Ellbogen auf das Geländer gestützt, auf der Veranda stand, legte sich allmählich ihr Zorn. Der Mondschein glänzte auf dem Fluß und dem Teich, in dem sie am Nachmittag geschwommen waren, und übergoß die fernen Hügel mit seinem Licht. Aus dem offenen Wohnzimmerfenster schallte Gesang herüber: »Since first I saw your face, I vowed, to honour and renown ye …«
    Sie hörte Schritte, und als sie den Kopf drehte, sah sie Merlin über den Rasen kommen. Seine Zigarette glühte rot in der Dunkelheit.
    »Ich mußte weg von dieser Frau. Und Madrigale konnte ich noch nie ausstehen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen, daß ich dich in deinen Backfischgrübeleien störe, Robin.«
    Sie kicherte. Er stellte sich neben sie auf die Veranda, so daß ihre Ellbogen einander leicht berührten.
    »Zigarette?«
    Sie hatte noch nie geraucht, aber sie nahm eine, weil sie gern den Eindruck lässiger Welterfahrenheit erwecken wollte. Merlin zündete sie ihr mit der Glut seiner eigenen Zigarette an. Robin sog den Rauch ein und verschluckte sich.
    »Das erstemal? Wirf sie in den Fluß, wenn du sie nicht magst.«
    Ein anderes Lied erklang. Maia sang das Madrigal, das Richard als Solo für sie gesetzt hatte: »Der silberne Schwan«. Gletscherklar und beinahe unirdisch schwebte ihre Stimme durch die kühle Nacht.
    Robin, die Merlins Gesichtsausdruck sah, sagte unwirsch: »Du bist wohl auch in sie verliebt?«
    Er blickte zu ihr hinunter. »Keineswegs. Sie ist Eis bis ins Innerste. Hör sie dir doch an. Das ist unmenschlich. Ohne jegliches Gefühl.« Schweigend lauschten sie der zweiten Strophe des Liedes. Dann bemerkte er: »Ich würde Maia natürlich gern malen. Aber ins Bett gehen würde ich lieber mit dir.«
    Robin lachte verlegen. Merlin sagte erheitert: »Ich werde es natürlich nicht tun. Schließlich bin ich seit Jahren in Daisy verliebt, und das wäre doch ziemlich inzestuös. Außerdem siehst du mich wahrscheinlich nur als widerwärtigen alten Onkel.«
    Sie kicherte wieder und ärgerte sich sofort, daß sie sich wie ein Schulmädchen benahm. Dann schüttelte sie den Kopf.
    »Nein? Na schön –«
    Er neigte den Kopf und küßte sie. Seine Lippen waren trocken und fest, und seine Finger strichen durch ihr kurzes feines Haar. Dann ließ er sie los.
    »Noch eine Premiere? Allerhand, kleine Robin.« Er musterte ihr Gesicht. »Du mußt mir verzeihen. Ich habe zuviel getrunken. Falls es ein Trost ist – es werden andere kommen, bessere. Ich beneide sie.«
    Ein Matrose, der von seinem in Liverpool liegenden Schiff zu seiner Mutter nach Trumpington reiste, begann ein Gespräch mit Maia, als sie eines Sonntags nach einem Besuch bei Robin mit der Eisenbahn nach Hause

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