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Das Winterhaus

Das Winterhaus

Titel: Das Winterhaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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überhaupt aufgegangen war, verschwunden.
    Das Automobil rumpelte klappernd auf der Straße dahin. Das Land war so flach, daß Robin Summerhayes das Haus sehen konnte, lange bevor sie es erreichten. Ihr Groll nahm zu, als das klobige gelbe Gebäude langsam größer wurde. Als ihr Vater schließlich bremste, mußte sie sich auf die Lippen beißen, um nichts zu sagen.
    Die Sorge ihrer Eltern galt wie immer Hugh. Bemüht, kein Aufhebens um ihn zu machen, dennoch besorgt, ob seine angeschlagenen Nerven die Reise vertragen hatten. Robin betrachtete das Haus. Es war ein viereckiger Kasten mit vier Fenstern und einer Tür, wie eine Kinderzeichnung. Drinnen gingen Küche, Eßzimmer, Wohnzimmer, Arbeitszimmer und Vestibül von einem schmalen dunklen Flur ab. Ihre Möbel waren schon aufgestellt, aber Kartons mit Porzellan, Wäsche, Kleidern und Büchern standen überall herum.
    »Dein Zimmer, Robin«, sagte Daisy Summerhayes aufmunternd, als sie im oberen Stockwerk eine Tür öffnete.
    Das Zimmer wirkte, wie der Rest des Hauses, so kalt und traurig wie ein Raum, der allzulange leer gestanden hat. Die Tapete war verblichen, und Robins vertraute Möbel schienen alle nicht richtig hineinzupassen.
    »Es muß natürlich gestrichen werden«, bemerkte Daisy, »und ich nähe dir neue Vorhänge. Na, was meinst du, Schatz? Es ist doch hübsch, nicht?«
    Am liebsten hätte sie geschrien: »Es ist scheußlich! Ich hasse es!«, aber sie tat es nicht aus Rücksicht auf den armen Hugh. Sie murmelte unfreundlich: »Es geht schon« und rannte hinaus.
    In Blackmere Farm gab es weder elektrischen Strom noch Gas, noch fließendes Wasser. Auf den Regalen in der Spülküche standen reihenweise Petroleumlampen, und der einzige Wasserhahn über dem Keramikspülbecken wurde vom Brunnen gespeist. Robin stieß die Hintertür auf und dachte wütend, daß sich die Familie Summerhayes, als sie sich von London verabschiedet hatte, gleichzeitig von der Zivilisation verabschiedet hatte.
    Draußen musterte sie finster den Garten, den großen, verwilderten Rasen und die ungepflegten Blumenbeete. Der ferne Horizont hing tief und war schnurgerade, und die Schwärze der Felder verschmolz mit den Wolken. Robin lief auf einen schmalen Streifen silbrigen Graus zu. Die Feuchtigkeit des hohen Grases durchnäßte ihre Schuhe und Strümpfe. Als sie den Fluß erreichte, blieb sie stehen und sah durch das Schilf in klares, dunkles Wasser hinunter. Eine Stimme in ihrem Kopf meinte, wie herrlich es wäre, hier im Sommer zu schwimmen, doch Robin achtete nicht auf sie und dachte statt dessen an London. Sie hatte den Lärm und die Betriebsamkeit geliebt. Dieses Haus dagegen schien wie von einer riesigen öden Wüste umgeben. Nein – keine Wüste, es tropfte und gluckste hier ja überall. Ein Moor. Wenn sie sich umsah, konnte sie weit und breit keine anderen Menschen oder Häuser sehen.
    Aber so ganz stimmte das nicht. Flußabwärts stand eine große Holzhütte. Robin stapfte die Böschung entlang hin.
    Die überdachte Veranda der Hütte ragte über das Wasser, das sich hier in einem tiefen kreisrunden, von Schilf umkränzten Becken sammelte. Robin kletterte auf die Veranda. Efeu überwucherte das Geländer, schlängelte sich an den überlappten Holzdielen entlang, verhängte das Fenster. Sie rieb das staubige Glas mit dem Ärmel ab und spähte ins Innere. Dann drehte sie den Türknauf. Zu ihrer Überraschung ging die Tür knarrend auf. Ein paar Efeuranken rissen ab. Spinnweben setzten sich klebrig in Robins Haar, als sie eintrat. Etwas Kleines, Dunkles huschte über den Boden.
    Sie hatte es für ein Sommerhäuschen gehalten, wußte aber sofort, daß es das nicht war. In der Mitte des Raums stand ein eiserner Ofen. Robin kniete vor ihm nieder, öffnete die rostige Tür, und ein Rinnsal Asche sickerte ihr auf die Knie. Sommerhäuser hatten keine Kohleöfen.
    An der Wand hinter dem Ofen waren Bücherregale. Ein von Fliegenkot gesprenkelter Spiegel mit einem Rahmen aus großen, flachen Muscheln hing an einer anderen Wand. Als Robin hineinblickte, tat sie es mit der verstiegenen Vorstellung, daß ein anderes Gesicht ihr begegnen könnte, nämlich das Gesicht der Person, die in dem Eisenbett an der Wand geschlafen und sich an dem Feuer des Ofens gewärmt hatte. Aber sie sah nur ihr eigenes Gesicht – dunkelbraune Augen, hellbraunes Haar, auf einer Wange eine graue Spinnwebe. Sie setzte sich auf eine Ecke des Bettgestells, zog ihren Pullover über die Knie und stützte das Kinn in

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