Das Winterkind
jedenfalls viel besser alsauf den letzten Fotos, die ich von Ihnen gesehen habe.« Grashoff lachte dröhnend und gab mir die Hand. Für solch derben Charme war er berüchtigt.
Ich blickte mich um. Ochs hatte sich klammheimlich verdrückt. Auch der junge Borger schob sich devot heran und schüttelte mir kräftig die Hand. Er war bleich und roch nach einem teuren neuen Anzug, wahrscheinlich hatte er sich für diesen feierlichen Anlass, der seiner Karriere recht förderlich sein konnte, gleich neu eingekleidet. Ich hatte beinahe schon vergessen, wie sehr ich ihn verabscheute.
»Tut mir Leid, dass Sie diesen langen Weg auf sich nehmen mussten.« Ich versuchte, höflich zu sein, doch während ich mich setzte, konnte ich an Iras Gesicht ablesen, wie unverbindlich ich klang. »Ich habe allerdings nicht allzu viel Zeit. In zwei Stunden kommt ein Architekt, der sich mein Ferienhaus ansehen will. Ich habe vor, da einiges umzubauen.« Die Lüge ging mir leicht von den Lippen, und sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Ira und der junge Borger starrten mich überrascht an; nur Grashoff klatschte scheinbar begeistert in die Hände. Vielleicht, weil er meine Lüge durchschaute oder als einen ordentlichen Versuch begriff, dieses Spiel zumindest nach meinen zeitlichen Regeln zu spielen.
»Großartig!«, rief er. »Sie haben das Zupacken nicht verlernt. Außerdem haben Sie Recht. Wir sollten keine Zeit verlieren.«
Als wäre sein Stichwort gefallen, räusperte sich der junge Borger und wagte sich vor. »Herr Graf, Sie haben wahrscheinlich schon von dem Durcheinander gehört, das da leider bei den Banken in Frankfurt geherrscht hat. Nun, die Dresdner hat inzwischen ihre Bereitschaft erklärt,Ihren Kredit doch zu verlängern. Unter gewissen Auflagen jedenfalls, die wir aber spielend erfüllen werden, insofern wir uns mehr Eigenkapital verschaffen, indem wir die vier ausländischen Werke an die Amerikaner verkaufen und uns im Inland einen solventen Partner wie beispielsweise Herrn Grashoff suchen.« Der junge Borger begann hektisch in seinen Unterlagen zu blättern. In seiner Gegenwart begann ich mich nach fünf Sekunden wie ein Fossil zu fühlen. Er brauchte ständig ein Diagramm oder einen Paragrafen, um etwas zu beweisen. Mir fiel jedoch auf, dass er nicht ganz so perfekt war, wie es immer den Anschein gehabt hatte. Die Fingernägel seiner rechten Hand waren bis zum Anschlag abgekaut.
»Lassen wir den jungen Kollegen ruhig in seinen Unterlagen wühlen.« Grashoff war der Einzige am Tisch, der sich am frühen Morgen schon einen Kognak und eine gute Zigarre gönnte. »Wir haben uns schon einmal unterhalten, Herr Graf. Sie erinnern sich. Damals habe ich Ihnen eine Fusion vorgeschlagen, fifty-fifty. Die Dinge haben sich mittlerweile ein wenig verschoben, nicht ganz zu Ihren Gunsten, um es freundlich zu formulieren. Aber ich könnte Sie mir immer noch als meinen Juniorpartner vorstellen, sagen wir fünfunddreißig zu fünfundsechzig, unter der Voraussetzung, dass Sie Ihre Verbindlichkeiten in den Griff bekommen. Für Ihre Schulden werde ich natürlich nicht geradestehen.«
Der junge Borger hielt inne. Ein sanftes Erstaunen legte sich auf sein Gesicht. Mit einem solch warmherzigen Angebot hatte er nicht gerechnet. Auch Ira hatte den Atem angehalten. Ich sah aus den Augenwinkeln ihre rechte Hand, die sich um den Griff der Kaffeetasse gelegt hatte. Die Hand war stark geädert und wurde von einemgoldenen Brillantring geschmückt, den ich nicht kannte. Nach einer Urlaubsbekanntschaft roch dieser Ring, nach einem Mann, der gerne Geschenke machte. Oder sie hatte schon zwei, drei Bilder verkauft und das Geld umsichtig sofort in teuren Schmuck investiert.
»Ich weiß Ihre Offerte zu schätzen.« Es fiel mir nicht schwer, dem alten Grashoff ein freimütiges, leicht spöttisches Lächeln zu schenken. »Aber ich bin nicht interessiert, Ihr Juniorpartner zu werden. Ich werde alles verkaufen, die Fabriken oder besser gesagt das, was die Banken davon übrig gelassen haben, und die Rechte an den sechs Schokoladennamen, die ich besitze. Die Rechte für diese Marken können Sie sofort kaufen. Für zwanzig Millionen, nein fünfundzwanzig Millionen Euro.«
Selbst Grashoff verschlug es für einen Moment die Sprache, dann hörte ich, wie Ira meinen Namen vor sich hin flüsterte. Ich begriff aber nicht, ob dieses Flüstern mir galt oder eher ein hilfloser Ausdruck ihrer Überraschung darstellte.
Im nächsten Augenblick reagierte Grashoff wieder wie ein
Weitere Kostenlose Bücher