Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
Vom Netzwerk:
Leipzig. Ich muss. Klar, das Angebot ist verlockend, wer will nicht rüber, aber meinem Vater haben sie gerade eine Professur an der Uni angeboten. Der bekommt jede MengeSchwierigkeiten, wenn die Tochter in den Westen abhaut. Ich kann das meinen Eltern nicht antun. Nein, ich fahre wieder zurück.« Ihre Stimme klang entschlossen, sie hatte sich offenbar entschieden.
    »Und was ist mit dir?« Anke setzte sich wieder und blickte zu Katrin.
    »Mensch, Anke, wenn ich das wüsste. Mist, Mann!« Damit stand Katrin auf und lief wieder langsam Richtung See. Ich glaube, sie heulte.
    Anke blickte ihr erstaunt hinterher. »Katrin, warte! Sag mal, spinnst du komplett?«, rief sie ihr nach und folgte ihr mit schnellen Schritten. Ich sah, wie beide am Ufer lang liefen und ziemlich aufgeregt diskutierten.
    Ich saß auf der Bank und überlegte, was ich mit diesem merkwürdigen Abend noch anfangen sollte. In westlicher Richtung versank gerade irgendwo zwischen den Bäumen die Sonne. In meinem Kopf schwirrten die Sätze von Andi und Anke umher. Nach einer Weile stand ich auf und schlenderte den Uferweg vom Zeltplatz bis zum Platz vor dem Space. Ich wollte alleine sein und gleichzeitig unter Leuten.
    Dort angekommen kaufte ich mir ein Bier und setzte mich auf die kleine Mauer, die den Brunnen umsäumte. Aus dem Space dröhnte dumpf Musik. Überall standen kleinere Gruppen von Jugendlichen, die ausgelassen feierten. Was feierten die überhaupt, fragte ich mich? Ich glaube, vor allem sich selbst. Und den Sommer. Und Urlaub ohne Eltern. Und die Aussicht auf baldigen Sex. Oder wenigstens die Hoffung darauf. Ich versuchte mir vorzustellen, wie zu Hause in Leipzig die Polizei darauf reagieren würde, wennabends vor der Rakete so ein Lärm wäre. Hier schien das keinen zu stören, aber bei uns würden die Vopos das nach einer halben Stunde beenden, und alle hätten ’ne Menge Ärger bekommen. Ich musste trotzdem leise lachen, als ich mir unseren ABV-Bullen vorstellte, der manchmal vor dem Jugendclub auftauchte, wenn wir an unseren Mopeds rumschraubten oder Andi mit seinem Warti da war, als er noch keine Fahrerlaubnis hatte. Der ABV fragte dann immer, wem dieser »Personenkraftwagen« gehörte, doch alle schüttelten nur den Kopf und verkniffen sich das Grinsen.
    Die Sonne war mittlerweile längst untergegangen, und Straßenlaternen erhellten den Platz.
    Plötzlich stand Anke neben mir, allein. »Was machst du denn hier?«, fragte ich sie, freudig überrascht, dass sie mich in diesem Gewühl gefunden hatte.
    »Ich dachte mir, dass ich dich hier treffe«, antwortete sie und setzte sich neben mich.
    Ich reichte ihr meine Bierflasche. Sie trank einen großen Schluck und sagte: »Katrin will mit Andi rüber. Ich glaube, sie ist in ihn verknallt.«
    »Ihr habt euch gestritten?«
    »Ja, so was in der Art. Ich kann es einfach nicht fassen. Das ist voll fies, meine beste Freundin. Seit drei Jahren machen wir alles zusammen und dann so was. Tja, und unsere Band können wir dann wohl auch vergessen.« Sie stockte, und ich legte ihr tröstend meinen Arm um ihre Schulter und ließ ihn gleich dort liegen, so ganz unaufdringlich. Sie blickte mir in die Augen auf eine Art, die mich noch mehr verwirrte, als ich es wegen Andi ohnehin schon war und fragte mich: »Fährst du mit mir zurück nach Leipzig?«
    »Klar«, antwortete ich so cool wie möglich. »Sieht so aus, als wären nur noch wir beide übrig. Was das wohl zu bedeuten hat?«
    Anke löste sich sanft aus meiner Umarmung, stand auf und lächelte mich an. Es war so ein freundschaftliches, nur freundschaftliches Lächeln oder so was ähnliches, aber ich war zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr zurechnungsfähig, weil mein Körper und mein Geist beschlossen hatten, mit Anke gehen zu wollen. Nicht hier am Strand – okay, das vielleicht auch. Nein, ich war gerade dabei, mich zu verlieben, und mein Glück stand direkt vor mir und lächelte mich auf irgendeine Art an, und ich lächelte ganz konkret zurück.
    »Ich hol uns noch ein Bier, okay?«, sagte Anke, immer noch lächelnd, und ging zum Kiosk gegenüber.
    Ich blickte ihr hinterher, und mein Entschluss verfestigte sich mit jedem Schritt, den sie tat. Mit den Schritten in Richtung Kiosk – ich beobachtete ihre Beine, ihren Po und ihren Rücken, und erst recht mit jedem Schritt zurück zu mir, nachdem sie zwei Bier gekauft hatte und sich wieder neben mich setzte. Ich öffnete die Flaschen mit meinem Feuerzeug und ließ sie dabei nicht aus den Augen.

Weitere Kostenlose Bücher