Das wird mein Jahr
für … für alles.«
Ich hatte mir etwas anderes erhofft und fragte spontan: »Rufst du deswegen an, Anke?«
»Nicht nur. Ich wollte fragen, ob du wieder fährst.« Es war klar, dass sie Ungarn meinte, und ich glaubte eine gewisse Unsicherheit in ihrer Stimme zu erkennen.
»Ich weiß nicht, im Moment eher nicht.« Dann fügte ich noch hinzu: »Wolln wir uns nicht lieber irgendwo treffen, anstatt am Telefon rumzustottern?«
Ihre Antwort kam erst nach einer winzigen Pause, aber sie war lang genug, dass sie mir aufgefallen war: »Ja … aber nicht heute. Tut mir leid. Geht echt nicht.«
»Dann vielleicht morgen Abend in der Rakete?«, fragte ich.
Im Hintergrund konnte man Ankes Vater hören, der sie irgendwie vollquatschte, und sie sagte schnell: »Du, ich muss Schluss machen, ich melde mich wieder. Mach’s gut, Friedemann.«
»Mach’s gut, Anke. Ich umarme dich.« Den letzten Satz von mir hörte sie glaube ich nicht, da sie zu schnell aufgelegt hatte, aber vielleicht war das ja auch besser so. Ich stand noch einige Minuten im Flur an unserem Telefonschränkchen mit dem Hörer in der Hand und hörte das Tuten in der Leitung. Irgendwann legte ich auf.
Am Samstag frühstückten mein Vater und ich zeitig. Heute sollte es mit dem Bau der neuen Laube losgehen. Während wir verschlafen und schweigend am Küchentisch saßen, schaute ich auf die Uhr an der Wand. Zur Disco in der Rakete trudelten wir samstags im Allgemeinen gegen einundzwanzig Uhr ein. Das war genau in dreizehn Stunden. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Anke nicht kommen würde. Ich wollte es mir nicht vorstellen. Sie hatte gesagt, sie würde sich melden. So blieb mir nur quälendes Warten auf den Abend. Wenn wir uns erst mal wieder gegenüberstünden, könnten wir dort anknüpfen, wo wir am Balaton aufgehörthatten. Bestimmt. Noch zwölf Stunden und fünfundfünfzig Minuten.
Mein Vater drängte zum Aufbruch, meine Mutter wollte später nachkommen. Wir hatten noch Baumaterial im Auto und fuhren mit dem Škoda meiner Eltern die wenigen Minuten rüber zur Gartenkolonie.
Der Split auf dem Hauptweg knirschte unter den Schuhsohlen, und weit und breit schien noch keiner außer uns auf den Beinen zu sein. Als Kind war ich hier jedes Wochenende mit meinen Eltern gewesen. Auf diesem Hauptweg zwischen den Gärten hatte mir mein Vater auch das Radfahren beigebracht. Als ich dann größer wurde, bin ich kaum noch mitgekommen, weil ich lieber mit der Clique in der Rakete rumhängen wollte. Maximal zum Mittagessen konnten mich meine Eltern noch in den Garten locken.
Mein Vater schloss die Tür zu seinen achtzig Quadratmetern »Gartenglück« auf, so hieß auch die ganze Gartensparte. Die Parzelle war gut zwanzig Quadratmeter größer als unsere Wohnung. Kein Wunder, dass meine Eltern lieber hier ihre Wochenenden verbringen wollten.
Ich blickte auf meine Uhr. Noch zwölf Stunden und vierzig Minuten.
»Übrigens, Friedemann. Lehmanns von drüben …«, mein Vater zeigte auf die gegenüber liegende Parzelle »… die sind auch noch nicht aus Ungarn zurück. Das werden jetzt drei Wochen. Denen gehen die ganzen Tomatenpflanzen ein. Die gießt doch keiner. Schade drum.«
Ich zuckte nur mit den Schultern. Dirk, der Sohn von Lehmanns, war ein Jahr älter als ich, und wir hatten hier früher oft zusammen gespielt. Ob der auch mitgefahren war?
Unsere Parzelle bestand aus einem Blumenbeet, zwei Gemüsebeeten mit Salat und Möhren, dem aus alten Fenstern zusammengebauten Gewächshaus, in dem mein Vater Gurken und Tomaten anbaute, und unserer alten Laube. Eigentlich war das nur ein etwas größerer Geräteschuppen, aber dank der überdachten Terrasse hatte man bei Regen wenigstens eine Unterstellmöglichkeit. Daneben in der Ecke war bereits letzte Woche die etwa fünfzehn Quadratmeter große Bodenplatte für die neue Laube gegossen worden. Das hatte ein Gartennachbar für meine Eltern organisiert. Unter einer Plane warteten die Gasbetonsteine, wegen denen mein Vater monatelang rumgerannt war. Ich glaube, letztlich hatte er sich die von irgendeiner Baustelle aus seinem Betrieb abgezweigt und jeden einzelnen Stein in seinem Škoda hierher gefahren.
Zuerst mischten wir Zement in einer großen vorsintflutlichen Zinkbadewanne, und dann zogen wir Stein auf Stein die Wände hoch. Für Fenster und Tür ließen wir noch Platz, die wollten wir aus der alten Laube ausbauen, weil mein Vater keine neuen bekommen hatte. Die Balken und Bretter für das Dach waren auch noch nicht
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