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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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machte und schaffte es dennoch nicht, wieder aufs Rad zu steigen und loszufahren. Unentschlossen blickte ich auf die stummen Fenster des Hauses.
    »Wollen Sie zu Bäumerts?«, rief plötzlich eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um, und aus dem gegenüberliegenden Einfamilienhaus schaute eine Frau aus dem Fenster.
    »Ja«, antwortete ich. »Ist keiner da?«
    »Nein, die sind Freitagabend verreist. Alle drei. Die machen Familienurlaub in Ungarn. Für eine Woche.«
    »Ach so. Danke.« Mechanisch setzte ich mich in Bewegung und schob das Rad auf dem Fußweg. Zum Aufsteigen und Losfahren fehlte mir plötzlich die Kraft. Meine Beine waren schwer wie Blei, und in meinem Kopf hämmerte es  seit dem Wort »Familienurlaub« unaufhörlich.Anke war seit zwei Jahren nicht mehr mit ihren Eltern verreist.
    Oh mein Gott, was bin ich für ein Trottel gewesen! Ziellos lief ich gut eine halbe Stunde durch Grünau. Mein Handgelenk schmerzte vom verkrampften Festhalten des Lenkers. Irgendwann blieb ich stehen. Anke hatte mich verarscht. Einfach so verarscht. Sie musste doch gewusst haben, was ihre Eltern vorhatten. Da hätte sie doch was sagen können am Telefon. Scheiße! Je mehr ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich. Diese Tussi! Bestimmt wusste sie das schon in Ungarn und hat mich deshalb überredet, wieder zurück nach Leipzig zu fahren, weil sonst die Flucht der netten Chefarzt-Familie aufgeflogen wäre. Und ich Blödmann lass mir die Chance entgehen mit meinem alten Kumpel Andi in den Westen zu gehen. Mein Gott, wie bescheuert kann man nur sein? Wenn wenigstens diese scheiß Gartenlaube von meinen Eltern schon fertig wäre. Dann könnte ich gleich morgen ein neues Visum nach Ungarn beantragen. Zumindest es versuchen. Ob man da überhaupt noch eins bekam? Die würden doch sicher merken, dass ich im August schon dort war und könnten dann eins und eins zusammenzählen. Seit einigen Wochen hatten sogar schon Leute in Prag die Botschaft besetzt. Aber das schien mir zu plump. Ich mach mich doch nicht völlig zur Feile und klettere über einen Zaun und werde dabei noch von irgendwelchen Fernsehteams gefilmt. Und dann hatte ich noch den Bau dieser Gartenlaube an der Backe. Vor dem Urlaub hatte ich mich darauf gefreut. Aber jetzt … war sowieso alles irgendwie zu spät.
    Ich stieg auf mein Rad und fuhr Richtung KulkwitzerSee und weiter, raus aus der Stadt. Ich brauchte Bewegung, Bewegung gegen die Untätigkeit, zu der ich verdammt war. Ich brauchte Zeit zum Nachdenken, und sehen wollte ich jetzt sowieso niemanden.
    Die Straße hinter Markranstädt war kaum befahren, und die Bäume am Straßenrand spendeten etwas Schatten an diesem warmen Septembertag. Ich hatte ein gutes Tempo drauf und der kühle Fahrtwind etwas Beruhigendes. Nur keine Hektik, sagte ich immer wieder zu mir. Du bist jung, Friedemann, und hast noch alle Zeit der Welt, was aus deinem Leben zu machen. Anke und Andi waren ja schließlich nicht die einzigen Menschen, die ich kannte. Ich kam auch so ganz gut klar. Die und ihr blöder Westen.
    Eine Woche war seit meinem erfolglosen Klingeln bei Anke vergangen. Sonntagabend spazierte ich Richtung »Völkerfreundschaft«, dem Jugendclub im WK 4, etwa zwanzig Minuten Fußweg von meinem Zuhause. Aber eigentlich wollte ich gar nicht in die »Völle« zum Biertrinken, sondern zu Anke, um zu sehen, ob sie vielleicht doch gestern zurückgekommen war.
    Als ich an ihrem Haus vorbeilief, war alles dunkel. Der Lada stand auch nicht in der Auffahrt. Ich blickte nur kurz an der Fassade zu den Fenstern hoch und lief weiter, ohne stehen zu bleiben. Das war ja eigentlich klar gewesen! Trotzdem spürte ich, wie Wut und Enttäuschung wieder in mir hochkrochen.
    An der nächsten Straßenkreuzung bog ich rechts ab und danach gleich noch mal. Kurz darauf stand ich vor dem Hintereingang von Ankes Grundstück und blickte über denGartenzaun auf die Rückfront des Hauses. Auch hier war alles dunkel. Keiner zu Hause. Jetzt war es wohl endgültig: Hier ist niemand zurückgekommen. Anke, Andi und Katrin sind drüben, und ich schleiche hier wie ein Straßenköter um die Häuser.
    Die Sonne war schon fast untergegangen und weit und breit kein Mensch zu sehen. Die Kleingärten gegenüber waren ebenfalls verlassen. Totenstille. Und plötzlich hatte ich eine Idee.
    Mit einem Satz kletterte ich über das Tor und rannte zum Haus. Ich kannte den Blumentopf, in dem sich der Schlüssel für die Kellertür befand, das hatte mir Katrin mal ziemlich

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