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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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besoffen auf Ankes Geburtstagsparty verraten. Ich hob den Topf mit dem stark duftenden Lavendel an, und tatsächlich lag darunter ein Schlüssel. Ich blickte mich um. Niemand war zu sehen oder zu hören. Auch auf den angrenzenden Grundstücken war es still. Nur die Grillen zirpten, allerdings nicht so laut wie am Balaton. Wahrscheinlich saßen alle Nachbarn vor der Glotze und schauten sich den »Tatort« im West-Fernsehen an. Wenn am Montag die Kollegen des Herrn Chefarztes bemerken würden, dass der Genosse nicht mehr zur Arbeit käme, würden hier bestimmt die Stasifritzen auftauchen und die Bude filzen. Ich wollte noch einmal Ankes Zimmer sehen, das ich von einigen Besuchen mit Andi und Katrin kannte. Ihr Reich. Dort, wo ich so gerne mit ihr rumgeknutscht hätte und den ganzen anderen schönen Kram. Ich drehte mich um und huschte zur Tür. Vorsichtig schloss ich auf und schlüpfte durch den Spalt.
    Der Kellergang lag im Dunkeln, nur durch das Milchglasfensterin der Tür fiel etwas Licht. Ich kannte den Weg nach oben in die Diele noch von der Party und tastete mich vorsichtig ins Erdgeschoss. Licht machte ich keines an, das letzte bisschen Abendsonne erhellte die Räume durch die Fenster gerade so, dass ich alles sehen konnte.
    Zunächst schlenderte ich planlos durch die Etage, erst kurz in die Küche, dann in das große Wohnzimmer, wo der Schreibtisch des Chefarztes stand, immer darauf bedacht, keinen Krach zu machen. Mein Blick fiel auf den großen Farbfernseher. Der würde sich bestimmt gut in meinem Zimmer machen, aber wie sollte ich den hier unauffällig raus bekommen? Nein, ich fühlte mich überhaupt nicht wie ein Einbrecher. Ein seltsames Gefühl von Neugier und Melancholie überkam mich. Alles war peinlich genau aufgeräumt, und ich zweifelte kurz, ob sie nicht doch wieder zurückkommen würden. Warum räumt man denn seine Bude sonst auf ? In der Küche war sogar der Kühlschrank noch an. Ich öffnete ihn und entdeckte eine Flasche Nordhäuser Doppelkorn. Ohne zu zögern nahm ich sie heraus und trank einen Schluck. Mit der Flasche ging ich langsam die Treppe hoch ins Obergeschoss. Die Tür zu Ankes Zimmer stand halboffen. Diese Stille …
    Es muss bei der Gartenparty Ende Juni gewesen sein, als ich das letzte Mal in ihrem Zimmer gewesen war. Damals waren ihre Eltern übers Wochenende weggefahren, und Anke hatte ihren achtzehnten Geburtstag nachgefeiert. Es war eine tolle Fete gewesen mit mindesten dreißig bis vierzig Leuten und reichlich Bratwurst und Bier. Andi hatte Anke nach ihren Schallplatten gefragt, weil er sich was auf Kassette überspielen wollte, und wir drei waren kurz in ihrZimmer hochgegangen. Sie hatte eine Platte von The Cure aufgelegt, ein Geschenk von ihrer West-Tante. Wir saßen auf ihrem Bett und hörten zu, wie Robert Smith uns seinen Weltschmerz vorsang. Ich glaube, damals hatte ich mich schon ein wenig in sie verknallt, als wir so nahe beieinander auf dem Bett saßen und ich ihr kurz in die Augen und lange in den Ausschnitt geguckt hatte.
    Ich trat in Ankes Zimmer und schloss kurz die Augen, weil ich glaubte, ihren Duft im Raum noch zu riechen. Tief atmete ich ein und erinnerte mich an den Geruch ihrer Haare, damals in der Nacht am Balaton. Langsam schaute ich mich um. Über ihrem Schreibtisch hingen mehrere Fotos von unserer Clique und auch unser erstes und einziges »Bandfoto«, auf dem wir vier in schwarzen Klamotten sehr ernst in die Kamera schauten. Anke hatte mit rotem Nagellack auf das Foto »The Innocent Disco« geschrieben. Von den vier Leuten auf dem Bild waren mittlerweile drei im Westen. Ich war der letzte Mohikaner. Vorsichtig nahm ich das Foto ab und legte es auf ihren Schreibtisch, die Stecknadeln daneben. Einige Schubladen machte ich auf und wieder zu, ohne den Inhalt näher zu untersuchen. Mein Blick fiel schließlich auf ihren silbernen Sanyo-Kassettenrekorder, den sie mit am Balaton hatte. Was für ein cooles Teil, wie aus dem »Beatstreet«-Film.
    Als ich vorhin die Treppen zu ihrem Zimmer hochgestiegen war, hatte ich die zugegeben ziemlich absurde Hoffnung, dass Anke mir einen rosafarbenen Brief auf ihrem Schreibtisch hinterlegt hätte, mit den größten Liebesschwüren überhaupt und der Adresse, wo ich hinkommen sollte, um sie zu heiraten. Aber da war nichts dergleichen inihrem Zimmer. Nur bedrückende Stille und Erinnerungen an ein Mädchen, das nicht da war und nie mehr hierher kommen würde.
    Draußen dämmerte es immer mehr, und langsam wurde es im Zimmer

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