Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
Vom Netzwerk:
rüber bist, Friedemann«, sagte sie und drückte ihre Zigarette in einem übervollen Aschenbecher auf dem Wohnzimmertisch aus.
    »Das ist eine lange Geschichte, Frau Wuttke«, antwortete ich. »Und wollen Sie jetzt auch noch rüber?«
    Andis Mutter machte sich eine neue Zigarette an. »Keine Ahnung, mein Guter, erst mal nicht. Ich hab doch hier alles was ich brauche, und meine Jungs können mir jetzt immer fleißig West-Pakete schicken. Vor allem ein paar gute Zigaretten.« Sie musste husten und lachte dabei kurz, offenbar über den Gedanken, dass ihre beiden Söhne drüben im Westen für ihre verteere Lunge schuften würden. Trotzdem konnte ich mich nicht des Eindrucks erwehren, dass sie sich irgendwie alleingelassen fühlte. Es entstand eine kurze Pause.
    »Wegen dem Auto«, fragte ich in die Stille. »Andi hat mir den Schlüssel in die Hand gedrückt und gesagt, ich könne ihn haben.«
    »Das sieht ihm ähnlich. Der ist ja eigentlich auf mich angemeldet«, sagte sie und hielt kurz inne, um an ihrer Zigarette zu ziehen. »Aber ich hab eh keine Fahrerlaubnis. Hat Andreas gesagt, wie das gehen soll?« Sie fragte nicht vorwurfsvoll, sondern schien daran interessiert zu sein, die Sache so abzuwickeln, wie Andi es mir versprochen hatte.
    »Ich könnte Ihnen den Wagen ganz offiziell abkaufen.«
    »Was soll ich mit deinen Aluchips, Friedemann? Nee, lass mal. Besorg so ’nen Kaufvertrag und wir schreiben irgendwas rein, das mit dem Auto machst du mit meinenJungs aus, ich hatte mit der Scheiß-Karre und ihrem Vorbesitzer sowieso nur Ärger.«
    »Danke, Frau Wuttke. Vielen Dank! Ich komm morgen noch mal mit einem Vertrag vorbei, okay?« Sie nickte stumm, während der Zigarettenqualm ihr zerzaustes Haar umhüllte.
    »Ich muss dann mal wieder. Meine Eltern …« Ich stand auf und sie brachte mich noch zur Tür. »Mach’s gut, Friedemann. Mach’s gut.«
    Den Nachmittag verbrachte ich damit, den Wartburg aufzuräumen. Zuvor lag ich noch eine Weile in meinem Zimmer auf dem Bett und überlegte, ob ich Anke anrufen sollte. Aber ich hatte auch meinen Stolz und dachte mir, sie sollte vielleicht den nächsten Schritt machen.
    Gleich als ich das Auto aufgeschlossen hatte, sah ich Frau Fensterguck von gegenüber. Mir schoss es plötzlich durch den Kopf, dass sie bald merken würde, dass Andi nicht mehr da war. Irgendwann würden mich vielleicht die Bullen oder sogar die Stasi ausfragen. Das könnte richtig unangenehm werden. Ich sollte mir eine gute Geschichte überlegen, falls mich jemand auf Andi und Katrin ansprechen würde.
    Gemächlich setzte ich mich auf den Beifahrersitz, wo ein paar Stunden zuvor Anke gesessen hatte. Im Wagen roch es noch nach Balaton, bildete ich mir zumindest ein. Auf dem Boden zwischen meinen Beinen lag eine Coca-Cola-Flasche. Wie hatte es Andi bloß über die Grenze geschafft? Ich konnte ihn ja kaum am Telefon fragen, denn alle Gespräche sollten angeblich von der Stasi abgehört werden. Und da war da noch Anke. Scheiße, ja, Anke!
    Ich stieg wieder aus, schloss den Wagen ab und lief die dreihundert Meter rüber zur Rakete. Ich musste unter Leute kommen, sonst würde ich noch verrückt werden.
    Im Jugendclub war Sonntagnachmittag-Teenie-Disco. Das hieß, dass das Durchschnittsalter so um die vierzehn lag und es eigentlich nicht sehr cool war, in meinem Alter dort rumzuhängen. Aber als Stammgast kam man immer sofort vorbei an Peter, dem Türsteher, und der wartenden Traube aufgedonnerter Kids. Er war ein Hüne, sodass wir ihn immer nur »Peter der Große« nannten. Wenn er das hörte, grinste er jedes Mal stumm, kniff die Augen zu winzigen Schlitzen zusammen und knuffte uns leicht mit seinen riesigen Fäusten auf die Oberarme – wir unterdrückten die Schmerzensschreie.
    »Mensch, Blume!«, begrüßte mich drinnen Toni. Er war der Jugendclubleiter, etwa Mitte dreißig, mit Schnurrbart und Kaltwelle und versuchte immer den netten Kumpel raushängen zu lassen. Uns war er dafür zu alt, aber man kam gut mit ihm aus. »Wie war es in Ungarn?«, fragte er mich.
    »Danke, prima. Übelst sonnig«, antwortete ich.
    »Kommt Andi auch noch?« fragte er.
    Scheiße! Jetzt schon so eine Frage? »Nee …, der kommt heute nicht«, gab ich schnell zurück und fragte ihn, wie es in der letzten Woche hier in Leipzig war. Ich sollte mich zu Hause einschließen, bis alle die Sache mit Andi von woanders her wussten, das konnte ja heiter werden. Nach einer Stunde war ich wieder draußen.
    Montag stand ich früh auf und fuhr

Weitere Kostenlose Bücher