Das wird mein Jahr
unsere Mutter kommt aus Frankreich. Matti ist mein jüngerer Bruder.« Er machte eine Kopfbewegung nach hinten »Der Drummer.«
»Spielt ihr schon lange zusammen?«
»So seit etwa einem Jahr als Band. Davor haben Matti und ich zu Hause bei unseren Eltern im Keller rumgejammt. Rainer lernten wir später hier in Stuttgart beim Studium kennen.«
»Du kommst nicht von hier?« fragte mich Rainer.
»Ich wohne drüben in Esslingen.«
»Du klingst aber gar nicht schwäbisch.«
»Ach so. Ja, ich komme ursprünglich aus Leipzig. Also ausm Osten, wenn ihr so wollt.«
»Nobody’s perfect«, erwiderte Rainer und trank aus seiner Bierflasche.
Wir trugen die Instrumente durch ein Hoftor in den Keller eines kleinen Werkstattgebäudes. Der Proberaum erinnerte mich sofort an unseren in der Rakete. Dieser leicht modrige Geruch der Wände, vermischt mit dem von abgestandenem Bier, muffigen alten Teppichen und Zigarettenqualm schien jedenfalls in allen Proberäumen der Welt der gleiche zu sein. Für einen kurzen Moment sah ich Anke neben mir stehen, wie sie betörend ins Mikro hauchte, während ich auf meiner Gitarre spielte. »Stinos at the disco,never can be cool, stinos at the disco, you are just a fool.« Meist hatte man sie gar nicht richtig gehört, weil der Vermona-Gesangsverstärker zu wenig Leistung brachte und die anderen Instrumente alles übertönten. Andi hatte dazu auf dem Schlagzeug rumgetrommelt, als ob er in einer Schmiede arbeiten würde, und Katrin drückte abwechselnd zwei Tasten auf ihrem Casio-Keyboard, das ihre West-Oma mal mitgebracht hatte. Das Ding klang viel zu schrill, aber die DDR-Keyboards hatten einen noch schlechteren Sound. Doch wenn ich Anke dabei zusah, wie sie ihre Lippen bewegte und sang, wusste ich, dass wir cool waren. Na ja – dass wir cool gewesen wären, als Band auf einer Bühne.
Nachdem alles ausgeladen und ich schon am Gehen war, fragte Noel: »Willst du noch auf ein Bier mit raufkommen? Wir wohnen gleich hier im Vorderhaus.« Er schüttelte vorsichtig seinen Rucksack und Flaschen klirrten. »Ich habe die restlichen Backstage-Getränke eingepackt.« Eigentlich war ich schon recht müde, aber wann hatte mich in den letzten Monaten mal jemand zu sich nach Hause eingeladen?
Die Wohnung lag im zweiten Stock. Matti schloss die mit Aufklebern übersäte Tür auf und machte Licht im Flur. Genau mir gegenüber hing ein großes Sonic-Youth-Poster.
»Willkommen in unserer Musiker-WG!« Noel nahm seinen Rucksack und ging mit den anderen in die Küche.
Die Wohnung wirkte recht geräumig, vielleicht auch aufgrund der wenigen Möbel. Ich folgte den Jungs. In der Küche stand ein alter Schrank neben Spüle und Herd. Das Regal darüber schien aus Holzkisten zusammengebaut. An den Wänden hingen Plakate von Bands, die ich nicht kannteund eins mit der Aufschrift »Hafenstraße bleibt!«. Wir setzten uns an einen großen Tisch. Jeder der Stühle hatte ein anderes Design, ich erwischte einen mit Polsterung. Noel verteilte Bierflaschen aus seinem Rucksack.
»Auf unser zehntes Konzert!«, rief Matti und wir stießen miteinander an.
Noel reichte mir ein Tape ihrer Band mit kopiertem Cover rüber. »Hier, als Dankeschön fürs Fahren. Wir haben schon knapp hundert unter die Leute gebracht.«
»Vielen Dank. Ich find es cool, dass ihr auf Englisch singt«, sagte ich und schaute auf das Cover. Es war das verwackelte Bild eines fliegenden Vogels. »Bei deutschen Texten muss ich immer an Ost-Bands denken. Da bin ich total DDR-geschädigt. So was wie Karat oder Silly. Deren Musik war immer so zum Kotzen. Die haben nie was über mein Leben gesungen. Kennt ihr ›Panic‹ von The Smiths? Da singt Morrissey ›hang the DJ‹. Das spricht mir aus der Seele, wenn ich an die Discos in unserem Jugendclub in Leipzig denke.«
»Du bist der erste Ostler, den ich treffe, der The Smiths kennt«, sagte Matti.
»Doch, doch, da gab es schon ein paar Leute, sonst wäre ich kaum an die Platten rangekommen. Ich hatte ja niemanden, der mir von drüben, also von hier, mal was hätte schicken können.«
»Ach ja, die Pakete in den Osten … Aber sag mal: Was machst du hier eigentlich?«, fragte Rainer.
»Eigentlich will ich Popstar werden, reich und berühmt und so. Und das ging in der Zone natürlich nicht. Zurzeit arbeite ich erstmal in einer Gärtnerei.«
»Ist ja fast das Gleiche«, prostete mir Matti mit schon leicht glasigen Augen zu. »Du und tausende Blumen, die nach Wasser von dir kreischen.«
»Spielst du in
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