Das wird mein Jahr
einer Band?«, fragte mich Noel.
»Damals in Leipzig, ja. Ich kann ein bisschen Gitarre, aber ist noch nicht viel dabei rumgekommen. Unsere ganze Band ist Stück für Stück in den Westen abgehauen. Wir wollten damals so auf New Wave machen, The Cure, Joy Division, The Smiths und so was. Ist schon eine Weile her.«
Rainer drehte eine Zigarette. »Ah, unsere Aftershow-Spezialmischung. Reich mal rüber«, rief Noel. »Magst du auch?« Er hielt mir die Selbstgedrehte hin, an der Rainer und er schon gezogen hatte.
Im Osten hatte das Geld immer für fertige Kippen gereicht und man musste nicht die Tabakreste zusammenkratzen für eine letzte Zigarette. »Nee, danke. Außerdem …«, ich atmete tief ein, »… riecht die so komisch. Was ist denn das für ’n Russenkraut? Das habe ich vorhin beim Konzert auch schon mal gerochen.«
Noel schaute mich verständnislos an.
»Sag bloß, du hast noch nie gekifft.« Er reichte das Teil weiter zu Matti und ließ mich nicht aus den Augen.
»Nee. Bin noch nicht dazu gekommen. Ist das Gras oder Shit?«, fragte ich.
»Dafür, dass du nicht kiffst, weißt du aber gut Bescheid.«
»Ich bin halt Gärtner.«
»Am Ende kommt das ganze Dope, das wir hier in den letzten Jahren verraucht haben, aus dem Osten!« Rainer schaute mich an, als ob sich ihm gegenüber gerade ein KGB-Agent geoutet hätte. Ich grinste ihn an und schwieg.
Draußen dämmerte es bereits. Ich schaute auf meine Uhr. »Oh Mist! Jungs, ich muss los, in vier Stunden beginnt meine Schicht. Hier, ich lass euch meine Telefonnummer da. Falls ihr mal wieder ein Transportproblem habt.«
»Oh, vielen Dank, Friedemann«, sagte Noel und heftete den Zettel mit einem Magneten an den Kühlschrank.
10. There She Goes
Es war mein erster 1. Mai ohne erzwungene Teilnahme an dieser lächerlichen Parade in Leipzig. Heute wollte niemand meine Endnote auf dem Facharbeiterzeugnis von meiner »Teilnahme am gesellschaftlichen Leben«, also vom Jubelmarsch auf die SED-Bonzen abhängig machen, so wie noch vor einem Jahr. Die Lehrer in unserer Berufsschule hatten damals echt ein Rad ab. Jetzt war das alles völlig bedeutungslos und schon verdammt weit weg. Wie aus einem früheren Leben.
Die Sonne schien zeitig in mein Zimmer, es war warm draußen, und darum hatte ich mich nach dem Frühstück entschlossen, eine Tour mit meinem neuen Fahrrad zu machen. Also, neu war das Rad nicht wirklich, ich hatte es vor ein paar Tagen aus einem Berg Sperrmüll am Straßenrand gezogen und mit relativ wenig Aufwand wieder flott gekriegt. Was die hier alles so wegschmissen. Glück für mich. Das Teil hatte sogar sieben Gänge, und die hellgrüne Metalliclackierung war zwar nicht mehr die frischeste, sah aber noch super aus, eben ein echtes West-Rad. Als Gärtnermeister Merk mich gestern nach Feierabend auf dem Hof an meinem Rad rumbasteln sah, empfahl er mir, ich solle unbedingt mal rüber nach Strümpfelbach radeln, dortkönnte ich mir was von der schönen Umgebung anschauen, von meiner »neuen Heimat«, wie er sagte. Heimat … Ja klar, musste man sich die mal anschauen, die Natur, alte Burgen und so. Hatte ich mit meinen Eltern doch früher auch gemacht.
Ich rief Andi an und fragte, ob er mitkommen wolle. Er klang noch recht verschlafen und sagte, er hätte kein Fahrrad und würde nur was mit dem Auto unternehmen. Wahrscheinlich auch nichts ohne Katrin. Ich beschloss, allein aufzubrechen, goss noch schnell meine Hanfpflanzen und fuhr los.
Ich durchquerte Esslingen und fand einen ausgeschilderten Radweg quer durch den Wald und über die Berge. Die Sonne war herrlich, und ich kam mir fast vor wie im Urlaub. Aus den Kopfhörern meines Walkmans erklangen die Cocteau Twins – der perfekte Soundtrack.
Nach gut einer Stunde hatte ich Strümpfelbach erreicht. Die Fachwerkhäuser sahen aus, als wären sie erst letztes Jahr neu gebaut worden. Wie auf einer Modelleisenbahnlandschaft, durch die ich spazierte. Jeder Quadratmeter schien gepflegt und dekoriert. Von Esslingen kannte ich das auch, aber hier empfand ich es noch stärker. Das war der Westen in seiner vollendeten Form! Fehlten nur noch coole Platten- und Klamottenläden.
Ich hielt an einem kleinen Kiosk am Ortsrand, dessen Langnese-Fahne ich schon von weitem entdeckt hatte, kaufte mir ein Stieleis und eine Cola und setzte mich auf eine Bank. Meine Eltern hatten mir als Kind immer gesagt, dass man nach einem Eis keine Cola trinken dürfe, weil man davon Bauchschmerzen bekäme. Mir war schon lange
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