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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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klargeworden, dass dies nur einer der vielen Sprüche war, die Eltern so drauf hatten, um Kindern den unstillbaren Drang nach zuckerhaltigen Lebensmitteln zu vermiesen. Heute war ich mein eigener Boss und entschied, dass das problemlos kombinierbar sei.
    Von der Bank aus hatte man einen weiten Blick ins Tal und auf die umliegenden Weinberge. Es war diese Idylle, die ich von Postkarten der entfernten West-Cousine meines Vaters kannte. Von ihren Reisen hatte sie uns manchmal welche geschickt. Vielleicht nur, um uns zu zeigen, wo sie überall hinfahren konnte. Wir schickten ihr dafür Postkarten aus dem Erzgebirge oder von der Ostsee.
    Ich schaltete meinen Walkman aus und lauschte. Die Stille hier war schon fast beunruhigend. Keine Züge, keine Straßenbahnen, keine Autobahn – nur Vogelgezwitscher und eine Gruppe grauhaariger Omis mit Dauerwellen, die hier genau wie ich spazierten. Grauhaarige Omis … Mein Gott, wo war ich denn gelandet? Ich sollte irgendwo in einem versifften Proberaum stehen und coole Songs schreiben oder auf einem Flohmarkt nach seltenen Schallplatten suchen oder mit Mädels rumschäkern auf der Suche nach der nächsten großen Liebe. Aber hier? Jetzt war ich im Paradies der Generation Fünfzig plus. Hier lernte ich heute bestimmt niemanden kennen. Ich öffnete meine Cola und überlegte, wie ich den Tag noch retten könnte. Vorhin hatte ich ein Schild für ein Weinmuseum gesehen …
    Eine dunkelhaarige Frau schob ihr Fahrrad den Weg zum Kiosk hoch. Kannte ich die nicht? Klar, das war Frau Albrecht, bei der ich letztens im Garten gearbeitet hatte. Albrechts hatten ein Haus auf einem Hügel unweit Stuttgarts,der mit Einfamilienhäusern und dazugehörigen großzügigen Grundstücken überzogen war. Normale Fließbandarbeiter bei Daimler lebten hier eher nicht. Herr Albrecht war Rechtsanwalt in einer großen Kanzlei in der Stuttgarter Innenstadt. Gesehen hatte ich ihn noch nie, aber er schien sehr gut zu verdienen, wenn die Größe der Villa, des Zweitwagens und des Gartens mit Pool als Parameter gelten konnten. Seit März war ich einmal im Monat bei denen gewesen. So wirklich nötig hatten sie eigentlich keinen Gärtner. Frau Albrecht arbeitete scheinbar nicht und pflegte selbst mehrere Blumenbeete. Ich kam eigentlich nur zum Rasenmähen und für Verschnittarbeiten. Sie war bestimmt zehn bis fünfzehn Jahre älter als ich, aber ihre lebendigen Augen und ihr freundliches, geradezu jugendliches Lächeln hatten mich sofort beeindruckt. Ein wenig erinnerte mich Frau Albrecht an eine neue Lehrerin, die wir in der achten Klasse bekommen hatten. Die kam ganz frisch vom Studium und war so Anfang, Mitte zwanzig. Sie unterrichtete Biologie, und alle Jungs waren schwer in sie verliebt gewesen. Nach den Unterrichtsstunden drängten wir uns um den Lehrertisch und fragten sie, ob es noch Hausaufgaben gäbe. Der Grund hierfür war nicht unser brennender Durst nach Wissen, sondern das pubertäre Verlangen, ihr hemmungslos in den Ausschnitt zu glotzen, während sie sich über das Klassenbuch beugte und irgendwas eintrug.
    Frau Albrecht lehnte ihr Fahrrad an einen Baum neben dem Kiosk. Sie trug Jeans und eine kurzärmelige rote Bluse. Das stand ihr gut, sie hatte auch die Figur dafür. Mit ihren schwarzen lockigen, nackenlangen Haaren ähnelte sie ein bisschen Sigourney Weaver, die ich neulich in »Alien« aufVideo gesehen hatte, nur dass Frau Albrecht nicht so einen ernsten Blick draufhatte.
    Sie schaute in meine Richtung, schien mich zu entdecken und kam zu mir rüber. »Hallo! Was für ein Zufall, da ist ja mein Gärtner, der Herr Blumenstrauß.« Sie blieb vor der Bank stehen und lächelte mich an. Mir war aufgefallen, dass sie »mein« und nicht »unser« Gärtner gesagt hatte.
    »Hallo, Frau Albrecht. Nutzen Sie auch das schöne Wetter?« Frau Albrecht … Wie das klang. Aber ich konnte sie ja kaum einfach duzen. Obwohl ihre Begrüßung mich dazu fast verleitete.
    »Ja, zumindest hab ich es versucht«, entgegnete sie. »Mir ist die Kette gerissen, vorhin als ich den Berg hochgefahren bin.« Für so eine Panne hatte sie noch erstaunlich gute Laune.
    »Wenn Sie möchten, kann ich mir die Sache mal anschauen. Ich hab etwas Werkzeug im Rucksack. Vielleicht kriegt man das wieder hin.« Ich stand auf, und wir gingen nebeneinander zu ihrem Rad. Sie hatte ein schweres Parfüm aufgelegt – eigentlich komisch für eine Radtour, aber das gefiel mir. Das hatte Stil. Ich fuhr ja auch nicht im Trainingsanzug.
    Ein

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