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Das wird mein Jahr

Das wird mein Jahr

Titel: Das wird mein Jahr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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Kettenglied war kaputt. Das Problem kannte ich von meinem alten Rad, und ich erinnerte mich, was zu tun war. Während ich an ihrem Rad hantierte, hockte sie neben mir im Gras und schaute zu. »Kann ich irgendwie helfen?«, fragte sie mich zwischendurch, doch ich schüttelte nur den Kopf. »Nee, das geht schon«, sagte ich. Sie sollte nur einfach weiter so duften! Ich könnte mir auch mal ein Parfüm kaufen. Also eins für Männer natürlich.
    Keine zehn Minuten später war die Sache repariert, was Frau Albrecht sichtlich imponierte. »Sie haben aber geschickte Hände.«
    »Ja früher, also drüben …, ich meine im Osten, wo ich herkomme, da war es besser, solche Sachen selber reparieren zu können, weil die Werkstätten nicht auf kurzfristige Arbeiten eingestellt waren. Wir waren quasi ein Volk von mehr oder weniger talentierten Hobbybastlern.« Ich schaute sie an und rieb mir meine schmutzigen Hände notdürftig an einem Taschentuch sauber.
    »Ach, richtig, Sie kommen von drüben. Wie kann ich mich denn bei Ihnen revanchieren?« Ich zuckte nur mit den Schultern. Was sollte ich auf die Schnelle antworten? Hatte ich jetzt wirklich einen Wunsch frei? Frau Albrecht schaute kurz auf ihre Uhr. »Ach, es ist ja noch gar nicht so spät.« Sie überlegte kurz. »Haben Sie schon mal einen unserer einheimischen Weine probiert? Hier gibt es ein Weingut mit einer Besenwirtschaft, gleich um die Ecke. Die haben einen wirklich ausgezeichneten Spätburgunder. Kommen Sie, ich lade Sie auf ein Glas ein, als Dankeschön, okay?«
    »Ja, warum nicht?« Warum nicht noch ein Glas Wein auf Eis und Cola? Heute war doch 1. Mai.
    Wir nahmen Platz an einem Tisch in einem kleinen Garten unter großen Sonnenschirmen, und sie bestellte uns zwei Gläser Rotwein. »Und, wie gefällt es Ihnen eigentlich hier bei uns in der Bundesrepublik?«, fragte sie mich, nachdem wir angestoßen hatten.
    »Gut«, antwortete ich. Was sollte ich ihr auch groß erzählen von meinen Bandträumen oder von meinem Stress mit Andi?
    Frau Albrecht nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas und blickte mich etwas länger an. Sie hatte wirklich schöne Augen. »Ich glaube, wir, also die Leute hier, können sich gar nicht so recht vorstellen, wie es bei Ihnen drüben in Ostdeutschland gewesen ist. Also das alltägliche Leben«, sagte sie.
    »Na ja, eigentlich war für mich alles ganz normal, so komisch das auch klingen mag. Ich kannte ja nichts anderes. Man hatte sich irgendwie arrangiert. Lange sah es auch so aus, als ob sich nix ändern würde. Und dann ging plötzlich alles ganz schnell. Erst jetzt im Nachhinein werden einem viele Dinge bewusst, die man damals hingenommen hat, die völlig hirnlos waren, wie zum Beispiel diese 1. Mai-Paraden – die waren Pflichtprogramm. Erst jetzt merke ich, wie unnormal die normale DDR war. Im Vergleich zu hier jedenfalls.«
    »Und darum haben Sie die DDR verlassen?« Frau Albrecht hatte sich eine Zigarette angezündet und blies den Rauch in die Luft. Sie hielt mir ihre Schachtel hin, und ich nahm mir auch eine. Als sie mir Feuer gab, spürte ich für einen winzigen Augenblick ihre Hand an meiner. Worüber redeten wir gerade? Ach ja.
    »So was wie Fahnenflucht«, sagte ich betont lässig. »Außerdem war ein Freund von mir schon im Sommer über Ungarn abgehauen. Deswegen bin ich auch genau hierher gezogen, also in die Nähe von Stuttgart. Aber wir sehen uns nicht mehr sehr oft. Er hat viel zu tun.«
    »Ist Ihr Freund etwa auch Rechtsanwalt wie mein Mann?« Frau Albrecht lächelte kurz und beugte sich zu mir rüber. »Den sehe ich auch kaum, weil er so viel zu tun hat. Jetzthat er noch eine Kanzlei in München aufgemacht. Deswegen radle ich heute hier allein durch die Weinberge und vertrinke sein Geld mit meinem Gärtner.« Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. »Noch ein Glas?«, fragte sie mich nach einer kurzen Pause, und ich nickte. »Übrigens, ich heiße Elisabeth«, sagte sie zu mir, und wir stießen mit unseren neuen Gläsern an. Elisabeth – das klang schon viel besser.
    »Sehr angenehm. Ich heiße Friedemann.«
    »Friedemann? Das ist aber ein schöner Name. Friedemann Blumenstrauß.«
    Mit Frau Albrecht, ich meine, mit Elisabeth radelte ich am Nachmittag zurück bis Esslingen. Ich erzählte ihr noch ein wenig vom Leben in der Zone, und sie lachte dabei so schön, dass ich glaubte, mit einem gleichaltrigen Mädchen unterwegs zu sein. Na ja, so alt schien Elisabeth nun auch wieder nicht. An einer Straßenkreuzung vor der

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