Das wird mein Jahr
Ich nahm einen tiefen Zug und musste gleich husten. Es schmeckte ungewohnt kräftig, irgendwie harzig und aromatisch. Jedenfalls ganz anders als normale Zigaretten.
Ich gab Rainer den Joint, und er zog ebenfalls. »Das Zeug ist wirklich gut«, sagte er, nachdem er langsam ausgeatmet hatte. »Deinen Dealer muss ich kennenlernen.« Qualmwölkchen umgaben seinen Kopf.
»Lässt sich einrichten«, erwiderte ich gelassen.
Noel kam ins Zimmer. »Hier probier mal«, rief Rainer ihm zu. »Der Ostler hat was Feines zum Rauchen mitgebracht.Sorry, ich hab deinen Namen schon wieder vergessen.« Wir setzten uns aufs Sofa und zogen abwechselnd am Joint. Dazu hörten wir die »Go«-Platte von Sonic Youth. Die Gitarren kreischten zwischen dem Qualm und wirbelten in meinem Kopf alles durcheinander.
Nach einer Weile wurde ich hungrig und verabschiedete mich in die Küche. Hier standen die Leute in Grüppchen und schwatzten miteinander oder scharten sich um das Büffet. Nudelsalat, Brötchen, Buletten – alles testete ich an. Gerade war ich mit einem Nutella-Glas zugange, als ich plötzlich das schöne BRAVO-Girl-Model vom Konzert entdeckte. So ein Zufall. Ihre Makellosigkeit war einfach unverwechselbar. Am Ende war Stuttgart genauso ein Dorf wie Grünau. Sie bemerkte meinen Blick, und wir lächelten uns kurz an, bevor sie sich wieder ihrer Freundin zuwandte. Ich ließ sie nicht aus den Augen. Mit einer geübten Handbewegung kontrollierte ich meine Frisur. Alles saß perfekt.
Kurze Zeit später stand sie mit Noel zusammen im Flur, und ich gesellte mich unauffällig dazu. »Ach übrigens, das ist Friedemann. Früher Leipzig, jetzt hier«, stellte Noel mich ihr vor.
»Hallo. Ich bin Claudia. Du kommst aus Leipzig?« Ich nickte. Noel wurde von seinem Bruder weggezogen, und so standen wir plötzlich allein da. »Das muss ja sehr aufregend gewesen sein bei den Montagsdemos. Hattest du da nicht Angst, erschossen zu werden?« Claudia schaute mich interessiert an, und ich fühlte mich, als käme ich vom Mars. Also irgendwie besonders.
»Weißt du, ich hatte mir gedacht, wenn ich jetzt nicht gegen dieses Unrechtsregime auf die Straße gehe, dann werdeich es mir später von meinen Kindern vorwerfen lassen müssen.« Ich löffelte währenddessen das Nutella-Glas aus wie einen Jogurtbecher.
»Und du bist trotzdem hierher gekommen?« Claudia strich sich die Haare aus dem Gesicht.
»Die Zone war einfach zu klein für mich. Ich brauchte neue Herausforderungen.« Das Nutella-Glas war alle, aber noch nicht mein Redebedürfnis. »Ich arbeite zurzeit in einer Gärtnerei, wo ich auch wohne. Das ist schön, weil ich abends durch das ganze Gelände streifen kann. Ich brauche einfach den Kontakt zur Natur. Nur ich, Obstbäume und viele bunte Blumen.« Das war für den Anfang definitiv zu viel Text, aber ich hatte auch schon drei Bier intus. Und einen halben Joint. Und dieses Nutella-Glas.
»Du bist wohl ein Blumenkind?« Claudia lächelte mich an, und ich kam in Schwung. »Genau. Blumenstrauß, Friedemann Blumenstrauß, angenehm!«, sagte ich gespielt beiläufig. Mit diesem Spruch hatte ich in der Rakete schon einigen Mädels imponiert und die weitere Entwicklung der Abende in Richtung rumknutschen günstig beeinflusst. Na ja, es waren insgesamt zwei gewesen, aber immerhin. Andi konnte jedenfalls so niemanden zum Lachen bringen.
»Blumenstrauß? Du machst Scherze, oder?« Claudia sah mich mit skeptischem Blick an.
»Soll ich dir meinen Ausweis zeigen?« Sie lachte. Ihre Klamotten verbreiteten einen wunderbaren Weichspülerduft, trotz der vielen Raucher im Raum. Kannte ich sie nicht aus irgendeinem Werbespot im Fernsehen?
»Um was wetten wir? Um einen Kuss?«, fragte ich. Sie zögerte einen Moment und schaute mich mit einer Mischungaus Belustigung und Ratlosigkeit an. Ich wartete nicht ihre Antwort ab und angelte aus meiner Jeansjacke den grünen Pass mit dem bundesdeutschen Adler drauf und hielt ihn ihr unter die Nase. Ihr erstauntes Gesicht sah toll aus. Ich war in meinem Element. Blume was back!
»Friedemann Blumenstrauß, was für ein verrückter Name. Was hast du denn für Eltern?« Claudia schüttelte lachend den Kopf.
»Meine Mutter ist eine Geranie und mein Vater ein Apfelbaum«, antwortete ich.
Plötzlich tippte Noel mich auf die Schulter. »Friedemann, hast du mal eben kurz Zeit?«
»Ja klar, was gibt’s?« Er zog mich in eine Ecke des Flurs, wo keiner stand. »Hast du noch was von dem Gras übrig? Da gibt es ein paar Leute, die
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