Das wird mein Jahr
Elisabeth stellte sich neben mich, reichte mir meinen Espresso, und wir betrachteten das Poster wie ein Gemälde in einer Kunstausstellung. »Auf einem Konzert von Joy Division in Köln haben wir uns übrigens kennengelernt«, erzählte sie. »Das muss 1980 gewesen sein. Mein Gott, ist das lange her.«
»Du warst mal auf einem Joy-Division-Konzert? Wirklich?« Ich sah sie mit großen Augen an. Elisabeth zuckte nur beiläufig mit den Schultern. »Die Platten von denen müssten im Hifi-Board sein. Magst du sie dir mal ausleihen, zum Überspielen?« Sie ging zu einem weißen Regal, setzte sich davor auf den Fußboden und durchstöberte die riesige Plattensammlung. »Hier, die ›Unknown Pleasures‹ und die ›Closer‹. Ich schreibe dir meine Telefonnummer auf, da kannst du dich melden, wenn du sie wiederbringen willst.«
»Ja, wenn das okay ist? Danke.«
»Jürgen hat die Platten nur noch als sentimentale Erinnerungsstücke an seine Jugendzeit. Außerdem ist er die Woche über immer in seiner Kanzlei in München. Der kommt gar nicht mehr zum Musikhören.« Elisabeth stand neben mir, und ihr Parfüm umtanzte schon wieder meine Sinne. »Sag mal, bist du nicht noch wegen etwas anderem hier?« Ihre Frage riss mich aus meinen Gedanken. »Na, die Hecke draußen. Oder willst du deinen Kollegen alles alleine machen lassen?« Sie grinste mich an.
»Ja, klar. Geht sofort los.« Ich schnappte mir Miros Espresso und ging nach draußen.
Als ich abends nach Hause kam, blinkte das rote Lämpchen des Anrufbeantworters. Matti hatte draufgesprochen.
»Hallo, Friedemann. Wir wollten uns noch mal bei dir bedanken, weil du uns nach dem Konzert nach Hause gefahren hast. Bei uns ist nächsten Samstag eine kleine Party. Wenn du Lust hast, komm doch abends vorbei. Tschösen.« Piep.
Cool, eine Einladung. In Grünau liefen die meisten Partys nach dem gleichen Strickmuster ab. Man traf sich beijemandem dessen Eltern verreist waren, schleppte reichlich Alkohol herbei, trank den zügig aus und checkte währenddessen die Mädels ab, mit denen man dann versuchte »abzuschieben«. Das hieß, man knutschte und fummelte mit- und aneinander rum, bis die Wirkung des Alkohols nachließ und man weitertrank. Also eher die animalische Tour. Dazu wurde laute Musik gehört und viel geraucht.
An der Hauswand bei den Jungs lehnten dutzende Fahrräder, und ich hörte schon im Treppenhaus laute Musik. Offenbar feierte das ganze Haus mit. Oder wurde dazu gezwungen. Noel und Matti empfingen mich an der offenen Wohnungstür. Einige andere Gäste glaubte ich schon beim Konzert in der Fleischerei gesehen zu haben. Ich erkannte sie an den Band-T-Shirts wieder. Weil der Kühlschrank voll war, stellte ich meine mitgebrachten Biere auf dem Balkon ab. Dort traf ich Rainer.
»Ah, der Ostler. Sorry, ich hab mir deinen Namen nicht gemerkt.«
»Friedemann. Sag mal, Rainer, wo du gerade hier bist, ich habe da was, da bräuchte ich mal deine Meinung.«
»Geht’s um Bassgitarren?«
»Nein, um was Diskreteres.« Ich holte aus meiner Jackentasche eine kleine Plastiktüte mit meiner ersten Cannabisernte. Monatelang hatte ich meine Zucht gehegt und gepflegt, und hier würde ich heute Abend bestimmt ein kompetentes Testpublikum dafür finden.
Rainer bekam große Augen und schaute sich um, aber niemand sah uns. »Mensch, das ist Gras im Wert von fünfzig Mark oder so. Du musst ja Kohle haben.«
Ich schaute überrascht. Das war ja nur ein kleiner Teil meiner Ernte. »Na ja, nicht wirklich«, antwortete ich. »Mich interessiert nur, ob das Zeug was taugt.«
»Das lässt sich leicht herausfinden. Komm mit.«
Wir gingen in Rainers Zimmer. Er nahm aus seiner Schreibtischschublade ein Blättchen Zigarettenpapier und verteilte in die Mitte Tabak. Von meiner Ernte bröselte er einige Blütenteile darauf. Anschließend riss er aus einer Zigarettenschachtel ein Stück von der Verpackung ab und bastelte daraus einen Filter. Er bemerkte meinen gespannten Blick. »Hast du das wirklich noch nie gemacht? Das ist ganz easy. Wie mit Lego spielen«, sagte er. In Windeseile drehten seine Finger einen Joint, als wäre er darin geübter, als im Zähneputzen. »Das Wichtigste ist, dass du das Teil konisch zusammenrollst, also nicht wie bei einer normalen Zigarette. Wegen der Luftzufuhr.« Das Ding sah aus wie eine Mini-Zuckertüte, und er zündete sie am breiteren Ende an. »Magst du den ersten Zug haben?« Er reichte mir den Joint.
»Ganz normal rauchen wie eine Kippe?« Rainer nickte.
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