Das wird mein Jahr
Gärtnerei verabschiedeten wir uns. »Hier wohnst du?«, fragte sie mich.
»Ja, vorübergehend. Bis ich was in Stuttgart gefunden habe. Andererseits ist es hier fast wie Urlaub – zumindest an den Wochenenden.«
Sie gab mir die Hand. »Vielen Dank für den schönen Nachmittag. Vielleicht klappt es ja mal wieder auf ein Glas Wein.«
»Ganz meinerseits. Ich hatte schon befürchtet, mit den Rentnern dort Bingo spielen zu müssen.«
11. Feed Me With Your Kiss
Über Hanfpflanzen hatte ich gelesen, dass sie erst zu blühen anfangen, wenn der Sommer zu Ende geht, doch meine auf dem Dachboden waren inzwischen groß genug, und ich wollte endlich Resultate sehen. Ich stellte die künstliche Beleuchtung auf zwölf Stunden ein, und wenige Tage später konnte ich die männlichen von den weiblichen Pflanzen unterscheiden. Von den vierzig Pflanzen blieben mir noch knapp dreißig weibliche. Sie sahen herrlich aus – riesige Teile, die darauf warteten, in Geld verwandelt zu werden. Die männlichen wanderten kleingehäckselt auf den Kompost.
Zwei Wochen vor der eigentlichen Ernte hatte ich mit dem Gießen und Düngen aufgehört. Ich wusste aus dem Hippie-Buch von Double Trouble, dass dies die Harzproduktion ankurbeln würde, und Harz war wichtig für den Endkunden. Hatte ich auch gelesen. Während unten in meinem Wohnzimmer The Cure das Haus beschallten, trennte ich oben auf dem Dachboden die Blüten vom Stengel und legte sie zunächst in eine Papiertüte. Ein paar Tage später zogen sie in ausgediente Übertöpfe um, die ich mit Klarsichtfolie verschloss. Täglich kontrollierte ich den Trocknungsprozess, damit es nicht zu Schimmelbildungkam und bis sich alles Chlorophyll in den Pflanzen abgebaut hatte.
Es war purer Zufall, dass ich kurz nach Pfingsten wieder bei den Albrechts arbeiten musste. Sie hatten Kirschlorbeer bestellt, als neuen Heckensichtschutz für den Vorgarten und Herr Merk teilte Miro und mich dafür ein.
Elisabeth stand in der Haustür und lächelte. »Guten Tag, Frau … ach nee, wir duzen uns ja. Entschuldigung, ist noch zu früh«, sagte ich zu ihr. Miro schaute mich kurz verwundert an, aber ich ignorierte seinen Blick.
»Kein Problem«, erwiderte sie gut gelaunt. »Vielleicht sollte ich euch erst mal einen Espresso machen?«
»Espresso? Ist das so was wie Kaffee?«, fragte ich zurück, was Elisabeth sichtlich irritierte.
»Ja, italienischer.« Sie drehte sich um und ging ins Haus.
Ich ertappte mich dabei, wie ich auf ihren Po starrte. Miro knuffte mich in die Seite. »Du duzt Frau Albrecht?«, fragte er leise und schaute dabei verschwörerisch.
»Nicht, was du denkst, Miro. Also echt … Nein, ich hatte ihr nur mal das Fahrrad repariert.« Er schaute mich immer noch ungläubig an.
Wir luden gerade den Transporter aus, als Elisabeth uns aus dem Haus zurief: »Der Espresso ist fertig!«
»Geh du mal rein, ich hab hier noch zu tun«, sagte Miro und grinste mich an.
Die Haustür stand offen. Ich zog meine schmutzigen Arbeitsschuhe am Eingang aus und trat in ein weitläufiges Wohnzimmer mit einer großen Glasfront Richtung Garten. Die war mir schon das letzte Mal beim Rasenmähen aufgefallen.Von hier aus sah man auch den Pool. Der weiß gestrichene Raum war sehr sparsam eingerichtet, keine Anbauwand in Eiche-Antik wie bei meinen Eltern. Sechs verchromte Stahlrohrstühle standen um einen großen, rechteckigen Holztisch. Und dann kam der Hammer. Über einem schlichten, schwarzen Sideboard sah ich ein großes gerahmtes Poster, und mein Unterkiefer klappte vor Staunen herunter. Da hing das Joy-Division-Cover von der »Unknown Pleasures«-LP in der Größe einer Wohnungstür! Eine tiefschwarze Fläche, auf der mit weißer Farbe Schallwellen grafisch dargestellt waren, die wie ein Gebirge aussahen. »Wahnsinn!«, entfuhr es mir.
Elisabeth schaute aus der Küche. »Alles in Ordnung?«
»Ja, ja. Es ist wegen dem Poster!« Ich kannte das Bild bislang nur aus einem kleinen Zeitschriftenartikel, den Dave mal in Grünau mit zum Cliquentreff gebracht hatte. In den Stuttgarter Plattenläden war mir die Originalscheibe bislang noch nicht unter die Finger gekommen, stand aber ganz oben auf meiner internen Suchliste. Kurz vor unserem Balatonurlaub hatte ich mir die »Unknown Pleasures« von Anke überspielt, na ja, es war mehr die Überspielung einer Aufnahme einer Überspielung der Platte, aber die Kassette war irgendwo verschwunden.
»Das gehört Jürgen, meinem Mann. Aus der Zeit, als er noch studierte.«
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