Das wird mein Jahr
dir was abkaufen würden.«
»Abkaufen? Klar, warum nicht.« In Rainers Zimmer saßen drei junge Typen in bunten T-Shirts auf dem Sofa und schauten mich gespannt an. Der Geruch unseres Joints hing noch in der Luft. Ich holte die Plastiktüte mit meiner Ernte aus der Jackentasche. »Hier Jungs, ich habe nur noch dieses Tütchen. Wollt ihr es euch vielleicht teilen?« Ein Typ mit Brille roch kurz am Inhalt und nickte anerkennend. Jeder von ihnen hielt mir ungefragt einen Zwanzig-D-Mark-Schein hin. Das waren drei neue Schallplatten für mich. Ich sammelte wortlos das Geld ein und konnte mir das Grinsen kaum verkneifen. »Jederzeit wieder«, sagte ich noch.
Ich ging zurück in den Flur, doch Claudia schien verschwunden. Ob sie doch keinen Bock auf mich hatte? In meinem Kopf drehte es sich leicht. Wenn ich heute doch noch ein paar vernünftige Sätze wechseln wollte, sollte icherstmal eine Alkoholpause machen. Ich nahm mir in der Küche ein großes Glas, füllte es mit Cola und setzte mich auf einen freien Stuhl neben Matti. Wir prosteten uns zu.
»Sag mal, Friedemann, ist das auf die Dauer nicht ganz schön anstrengend, so jeden Tag zu arbeiten? Ich würde das nicht aushalten.«
»Na ja, irgendwoher muss ja die Kohle kommen für Miete und Essen und Musik und so weiter. Oder wie macht ihr das hier?«
»Noel, Rainer und ich studieren. Und dann jobben wir halt immer mal in ’ner Kneipe oder so.«
»Aber da kommt doch nicht viel Geld zusammen, oder?«
»Die Frage ist halt, ob man unbedingt einen Daimler haben muss, so wie alle anderen Bekloppten hier in der Gegend. Der Schwaben-way-of-Life ist ›schaffe, spare, Häusle baue‹. Das ist kein Klischee, sondern wirklich eine Lebenseinstellung. Schon die Bezeichnung ›schaffen‹ statt ›arbeiten‹ ist total krank. ›Schaffen‹ wie ›erschaffen‹. Ein Künstler ›erschafft‹ etwas, Gott hat angeblich die Welt in sechs Tagen ›erschaffen‹, aber Arbeit ist nun mal Arbeit. Doch hier wird dieser Quatsch in geradezu religiöse Sphären gehoben. Diese Arbeitswut sollte unbedingt mal tiefenpsychologisch untersucht werden. Das sind doch alles Verdrängungshandlungen.« Matti hielt kurz inne und trank von seinem Bier. Hatte er etwa auch gekifft?
»Du hast ja recht.« Ich nickte und erinnerte mich daran, dass nächste Woche die Rate für den Bus bei Jens wieder fällig war. »Ausschlafen und nicht so viel schuften wäre schon schön, aber wie könnte ich mir dann meine Lieblingsplatten finanzieren?«, fragte ich ihn.
»Klauen«, antwortete er, und sein Gesichtsausdruck verriet mir, dass er das völlig ernst meinte. Matti öffnete sich ein neues Bier und stieß mit mir an. »Machst du viele Touren mit deinem Bus?«
»Nee, geht erst noch los. Aber mein Traum war schon immer so ein Wohnmobil. Da steigt man einfach ein und fährt bis Italien oder Spanien und hat immer sein eigenes Bett dabei. Das nenn ich Reisefreiheit.«
»Aber sind diese Busse nicht arschteuer?«, fragte Matti. »Dafür musst du arbeiten gehen, viel arbeiten. Und dann hast du keine Zeit zum Verreisen. Deine Reisefreiheit musst du dir erkaufen. Die gibt es nicht umsonst.«
»Immerhin hält mich jetzt keine Mauer mehr auf«, entgegnete ich.
»Glaube mir, Geld ist eine viel größere Mauer«, prostete Matti mir zu.
»Du siehst immer alles so pessimistisch. Das sollte auch mal tiefendingsmäßig untersucht werden«, sagte ich mit einem Grinsen und wechselte das Thema. »Was feiert ihr heute überhaupt?«
»Das ist eigentlich eine Auszugsparty. Wir lösen die WG auf. Rainer geht nach Köln. Noel und ich wollen ab dem Sommer in Berlin an der Freien Universität weiterstudieren. Hier in Stuttgart ist es auf die Dauer einfach nicht auszuhalten. Keine Spannung, nur arbeitsgeile Spießer. Und die etwas fitteren Leute wollen über kurz oder lang eben in andere Großstädte ziehen. Hier ist alles festgefahren.«
»Ja, schade. Wann ist es denn soweit?«, fragte ich.
»In einer Woche geht’s los.«
Als Rainer und Claudia fummelnd in die Küche wankten, fuhr ich nach Hause.
Es war später Nachmittag, und ich lag auf meinem Bett. In meiner Hand hielt ich den Zettel mit der Telefonnummer von Elisabeth. Die ausgeborgten Joy-Division-Schallplatten waren schon längst überspielt, und ich überlegte, wann ein guter Zeitpunkt wäre, sie ihr zurückzugeben. Eigentlich wollte ich sie zum nächsten Rasenmähen mitnehmen, doch gestern war ein anderer Kollege dafür eingeteilt worden. Dann fiel mir ein, dass sie
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