Das wird mein Jahr
studierte. »Drehst du bitte mal die Schallplatte um?«, bat sie mich. Ich stand auf und ging ganz nah an ihr vorbei, rüber zur Hifi-Anlage. Als ich zurückkam, saß Elisabeth schon wieder in ihrem Sessel und ich fiel in meinen. Der Rotwein machte mich kaum betrunken, eher müde und träge. Langsam kam ich zu dem Schluss, dass sich das hier wohl nicht so entwickeln würde, wie meine Fantasie mir das noch vor ein paar Stunden in den schillerndsten Farben vorgespielt hatte. Wir hörten der Musik zu, schauten aus dem Panoramafenster auf das Lichtermeer der Stadt und schwiegen.
»Ich muss dann mal langsam wieder los«, sagte ich, nachdem ich mir den Wein reingezwungen hatte. Im Kühlschrank meines Busses standen noch zwei Bierdosen. Die konnte ich jetzt gebrauchen.
Ich erhob mich fast zeitgleich mit ihr. »Na dann.«
An der Haustür entstand eine winzige, aber unüberhörbare Pause. Dann schaute Elisabeth über meine Schulter und fragte mich: »Ist das dein Campingbus?«
»Ja, diesen Wunsch habe ich mir als Erstes erfüllt.«
»Du hast wohl ganz viele?«
»Jede Menge. Und ich will, dass alle in Erfüllung gehen.«
»Welche zum Beispiel noch?«
Ich wusste genau, was ich jetzt darauf antworten wollte, aber es kam einfach nicht aus meinem Mund.
»So einen Bus wollte ich früher auch mal haben.« Sie sagte es, als würde sie ein wenig in Erinnerungen schwelgen. »Zeigst du mir, wie er von innen aussieht?« Na gut, wenn sie mir nicht ihren nackten Körper zeigen wollte, dann zeige ich ihr wenigstens meinen Bus.
Wir gingen rüber, ich öffnete die Schiebetür und die Innenbeleuchtung schaltete sich ein. »Das ist meine kleine Ferienwohnung. Küche, Schränke und hier ist das Schlafsofa«, erklärte ich. »Ich habe im Kühlschrank sogar immer ein paar Bier.«
»Darf ich?«, fragte Elisabeth und stieg ein. Ich folgte ihr, und die Schiebetür schloss sich automatisch. Im Bus wurde es wieder dunkel. Nur das Licht einer entfernten Straßenlampe schien schwach herein. »Oh, ich sehe ja gar nichts mehr. Vielleicht hätte ich das erwähnen sollen – ich bin nachtblind«, sagte Elisabeth, und in der Dunkelheit ertastete sie wie zufällig meinen Arm. Wir setzten uns auf die hintere Bank, und unsere Schultern berührten sich. Keiner sagte etwas. Nach einem kurzen Moment drehte sich Elisabeth zu mir. »Was mich noch interessiert, Friedemann: Wie ist es eigentlich, einen ostdeutschen Mann zu küssen?«
»Schwer zu sagen. Ich habe noch nie einen geküsst.« Mein Puls schlug heftig. Ich glaube, das ganze Auto vibrierte mit. »Aber … ich könnte es dir mal zeigen«, sagte ich leise und streichelte dabei unbeholfen ihre Hand. »Ich hätte dafür alle nötigen Qualifikationen.«
»Und wie willst du das anstellen?« Elisabeth kraulte wie selbstverständlich meinen Nacken, und mir wurde immer heißer. Hoffentlich machte jetzt mein Deo nicht schlapp. Ihre Augen fixierten mich im Halbdunkeln.
»Ich schätze, dazu müsste ich jemanden küssen«, sagte ich. »Würdest … würdest du mir assistieren?«
Mein Mund traf auf ihre Lippen, ich umarmte sie und hatte in den folgenden Minuten – oder waren es Stunden? – den Eindruck, nicht ich würde ihr was zeigen, sondern sie mir. Aber solange dabei herauskam, dass wir knutschten, war mir das schlicht egal. Der Bus schaukelte sanft bei jeder stärkeren Bewegung, und ich überlegte, wie weit das jetzt hier gehen würde.
Nach einiger Zeit löste sie sich aus meiner Umarmung. Wir lächelten uns an. Testosteron und Endorphine hatten noch vollen Speed in meinen Venen, und während wir uns an den Händen hielten, fragte ich sie völlig benommen: »Was mich ja auch noch ganz brennend interessieren würde … Wie ist es eigentlich, mit einer westdeutschen Frau zu schlafen?« Meine Stimme konnte die Erregung kaum verbergen.
»Das ist wunderwunderschön. Aber das zeige ich dir ein andermal.« Sie gab mir einen sanften Kuss auf die Stirn, öffnete die Schiebetür des Busses und stieg aus. »Bis bald, mein schöner Gärtner«, sagte sie leise und ging zum Haus. Auf dem Absatz drehte sie sich noch mal um und winkte mir kurz zu, bevor sie verschwand.
Ich brauchte einige Augenblicke, bis ich mich soweit gefasst hatte, dass ich nach vorn auf den Fahrersitz klettern konnte und losfuhr. Ich kurbelte mein Seitenfenster runter und der kühle Nachtwind blies mir ins Gesicht. Mein Grinsen ging bis zu meinen Ohren.
12. Everyday Is Like Sunday
Ich wollte Elisabeth wiedersehen. Sie war die erste Frau,
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