Das wird mein Jahr
Dritte. Jedenfalls der Dritte.
Ich ging in die Küche, um mir erst mal ein Bier zu holen. Und dann wusste ich, was zu tun war. Ich würde ihr ein Mixtape schicken. Auch wenn sie jetzt vielleicht schon umgezogen war, hatte sie bestimmt einen Nachsendeantrag für die Post. Irgendwie würde sie das Ding erreichen. Ein Mixtape, auf dem jeder einzelne Song das beschrieb, was ich ihr immer schon mal sagen wollte. Das war alles, was ich jetzt tun konnte. Und wenn sie nach dem Hören nicht sofort alles stehen und liegen ließe und zu mir käme, wäre das Thema für mich abgehakt. Endgültig! Jawohl!
Euphorisiert begann ich meine Platten und Kassetten zu durchwühlen. Welcher wäre ein guter Anfangssong? Am besten was aus der Zeit, als wir noch in Leipzig wohnten. Oder von unserem Ungarnurlaub. Oder nur neue Songs, damit sie sah, ich meine hörte, was ich mittlerweile für eine coole Plattensammlung hatte und wie gut ich mich auskannte. Nur nichts zu Schnulziges, denn sie sollte nicht sofort merken, dass ich hier einen Seelenstriptease hinlegte. Es sollte ihr erst beim genauen Hinhören klar werden. Also eher so subtil und dafür umso wirkungsvoller. Ich wollte Selbstbewusstsein ausstrahlen, ich musste sie mit den Songs umschlingen und ihr zeigen, was ich dachte und für sie empfand.
Die halbe Nacht verbrachte ich mit Musik, einem Notizblock und Playlisten, die ich danach in den Papierkorb warf.
Ich brauchte noch einen Tag und eine Nacht, bis die Reihenfolge perfekt war. Laut und leise, wild und zerbrechlich und mit dieser Melancholie, die einen gefangen nahm und zum Träumen brachte.
Ich kaufte ein neues Tape, das teuerste, das es gab, und beschriftete den Einleger mit meiner Sonntagsschrift. Das Cover schnitt ich aus dem Foto von The Innocent Disco zurecht, das ich vor einem Jahr aus Ankes Zimmer in Leipzig mitgenommen hatte. So wie diese Kassette hätte bestimmt auch unsere Band geklungen, wäre sie nicht zwangsweise aufgelöst worden. »Play it loud!«, schrieb ich auf die beiden Seiten des Tapes. Die Tonköpfe meines Kassettendecks hatte ich extra mit Wattestäbchen und Ethanol gereinigt und die Aussteuerung genau eingestellt, bevor ich die Songs draufspielte. Der Sound war perfekt. Einen Brief legte ich nicht bei. Die Songs sprachen für mich.
Zufrieden beschaute ich mein Werk. Ich schrieb die Adresse und meinen Absender mit Telefonnummer auf einen Luftpolsterumschlag und brachte ihn zur Post.
Nun hieß es warten. Aber wie lange eigentlich? Wie lange würde die Post brauchen? Vielleicht zwei bis drei Tage oder etwas länger, wegen des Nachsendeantrages. Naja, in einer Woche müsste sie das Tape jedenfalls haben.
Scheiße, im Grunde war jetzt alles noch viel schlimmer.
Täglich überprüfte ich, ob der Anrufbeantworter eingeschaltet war, bevor ich zur Arbeit ging, und der Blick aufdas kleine rote Licht auf dem Gehäuse war das Erste, was ich tat, wenn ich abends nach Hause kam. Manchmal schaute ich auch in meiner Mittagspause vorbei, nur um zu sehen, ob jemand angerufen hatte. Machte ich mich mal wieder voll zur Feile? Es bekam zumindest niemand mit. Außer mir.
Vier Tage waren seit dem Abschicken des Tapes vergangen, als am späten Abend das Telefon klingelte. Schnell sprang ich von meinem Bett auf und hastete zum Telefon im Flur. Ob sie es sein könnte? Bitte, bitte, bitte. Lass es Anke sein. Moment, mit wem redete ich hier eigentlich?
»Einen schönen guten Abend«, flötete ich in den Hörer.
»Hallo, Blume.« Es war Jens, Andis Bruder.
»Was gibt’s denn?« Scheiße, war ja klar. Was wollte der denn von mir? Meine Raten hatte ich doch bislang immer pünktlich überwiesen.
»Du, es gibt Ärger. Doppelten Ärger, verstehst du?«
»Hä? Ja, warte mal.« Ich musste mich kurz sammeln. Er meinte bestimmt Double Trouble. Scheiße, das klang nach Bullen.
»Können wir uns treffen?«, fragte Jens.
»Unbedingt. Aber nicht bei mir. Kennst du meinen Lieblingsimbiss?«, fragte ich ihn.
»Ja, klar. Sagen wir in einer halben Stunde?«
Ich fuhr mit dem Fahrrad hin, weil mir das unauffälliger erschien. Mein Kopf war voller Fragen und nicht einer einzigen Antwort. Dieser ganze Drogenmist. Von weitem sah ich Jens’ Mercedes parken.
Drinnen im Laden begrüßte ich Ali, nahm mir ein Bier aus dem Kühlschrank und setzte mich zu Jens an den Tisch.Er machte ein ernstes Gesicht. »Die Bullen haben Double Trouble beim Dealen in einer Disco erwischt und seine Bude auseinandergenommen. Dort fanden sie wohl noch mehr.
Weitere Kostenlose Bücher