Das Wirken der Unendlichkeit
Schwanz beißt, um das, was ich meine, zu beschreiben. Die Sprache ist inadäquat. Alle diese Erlebnisse ereignen sich jenseits der Sprache.«
Es war sehr schnell dämmrig geworden, und das Laub der Bäume, das noch kurz zuvor leuchtend grün gewesen war, wirkte plötzlich sehr dunkel und bedrohlich. Don Juan sagte, wenn ich das Dunkel des Laubs sehr genau beobachte, ohne meinen Blick darauf zu konzentrieren, sondern es eher aus den Augenwinkeln betrachte, würde ich sehen, wie ein flüchtiger Schatten durch mein Gesichtsfeld zog.
»Es ist die richtige Tageszeit, um das zu tun, wozu ich dich auffordere«, sagte er. »Es dauert eine Weile, bis du die notwendige Aufmerksamkeit in dir aufbringst. Gib nicht auf, bevor du den flüchtigen schwarzen Schatten entdeckst.«
Ich sah seltsame flüchtige schwarze Schatten auf dem Laub der Bäume. Entweder war es ein Schatten, der sich hin und her bewegte, oder mehrere Schatten, die sich von links nach rechts oder von rechts nach links oder gerade nach oben bewegten. Sie wirkten auf mich wie dicke schwarze Fische, wie riesengroße Fische. Es war, als flögen riesige Schwertfische durch die Luft. Der Anblick zog mich völlig in seinen Bann. Schließlich machte er mir angst. Es wurde zu dunkel, um das Laub zu sehen, doch ich sah immer noch die fliegenden schwarzen Schatten.
»Was ist los, Don Juan?« fragte ich. »Ich sehe überall schwebende schwarze Schatten.«
»Ah, das ist das gesamte Universum«, antwortete er, »unermesslich, nicht linear, jenseits der Sprachebenen. Die Zauberer im alten Mexiko haben diese flüchtigen Schatten als erste gesehen und sind ihnen gefolgt. Sie haben sie so gesehen wie du, und sie haben sie als Energie gesehen, die im Universum fließt. Und sie haben etwas entdeckt, das alle Erfahrung überschreitet.« Er brach ab und sah mich an. Seine Pausen waren perfekt platziert. Er hörte immer dann auf zu reden, wenn der Faden bei mir zu reißen drohte. »Was haben sie entdeckt, Don Juan?« fragte ich. »Sie entdeckten, daß wir einen lebenslangen Begleiter haben«, sagte er mit großer Klarheit und Deutlichkeit.
»Es ist ein räuberisches Wesen, das aus den Tiefen des Kosmos kam und die Herrschaft über unser Leben an sich gerissen hat. Die Menschen sind seine Gefangenen. Dieser Räuber ist unser Herr und Meister. Er hat uns fügsam und hilflos gemacht. Wenn wir protestieren wollen, unterdrückt er unseren Protest. Wenn wir unabhängig handeln wollen, verlangt er, daß wir darauf verzichten.« Es war sehr dunkel um uns herum, und das schien mich in meinen Ausdrucksmöglichkeiten zu behindern. Im Licht des Tages hätte ich mich halb totgelacht, im Dunkeln fühlte ich mich jedoch gehemmt.
»Um uns herum ist pechschwarze Nacht«, sagte Don Juan. »Aber wenn du deine Umgebung aus den Augenwinkeln heraus betrachtest, wirst du trotzdem flüchtige Schatten sehen, die überall um dich sind.« Er hatte recht. Ich sah sie immer noch. Von ihren Bewegungen wurde mir schwindlig. Don Juan schaltete das Licht ein, und das schien den Spuk zu vertreiben. »Du bist allein und aus eigener Anstrengung auf das gestoßen, was die Schamanen im alten Mexiko das Thema aller Themen nannten«, sagte Don Juan. »Ich habe die ganze Zeit sozusagen bei dir auf den Busch geklopft und wiederholt Anspielungen darauf gemacht, daß uns etwas gefangenhält. Wir sind in der Tat Gefangene! Für die altmexikanischen Zauberer war das eine energetische Tatsache.«
»Wieso hat das räuberische Wesen die Herrschaft so übernommen, wie du es beschrieben hast, Don Juan?« fragte ich. »Dafür muss es eine logische Erklärung geben.« »Es gibt eine Erklärung«, erwiderte Don Juan, »und es ist die einfachste Erklärung der Welt. Sie haben die Herrschaft übernommen, weil wir Nahrung für sie sind. Und sie nehmen uns erbarmungslos aus, weil wir ihr Überleben sichern. So wie wir Hühner in Hühnerställen halten, in >Gallineros<, so halten uns die Räuber in Menschenställen, in >Humaneros<. Auf diese Weise haben sie ihre Nahrung ständig zur Verfügung.« Ich spürte, daß mein Kopf sich heftig von einer Seite zur anderen bewegte. Ich konnte meinen Unmut und meinen Ärger nicht zum Ausdruck bringen, doch mein Körper bewegte sich, um beides deutlich zu machen. Ich schüttelte mich ohne jedes Zutun von Kopf bis Fuß. »Nein, nein, nein, nein!« hörte ich mich sagen. »Das ist absurd! Was du sagst, ist ungeheuerlich. Es kann einfach nicht wahr sein, weder für Zauberer noch für normale Menschen
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