Das Wirken der Unendlichkeit
»Er hat sogar gesagt, wir können dort miteinander reden.«
»Aber was hast du gesagt, um ihn dahin zu bringen, daß er dich in sein Haus eingeladen hat?« wollte er wissen. »Ich habe mich so interessant wie möglich gemacht und dem Alten versprochen, ihm alles zu sagen, was ich durch mein Studium über Heilpflanzen weiß.« Bill schien mir nicht zu glauben. Er warf mir vor, ihm etwas zu verheimlichen. »Ich kenne die Leute hier«, erklärte er in einem herausfordernden Ton. »Und der Alte ist ein ganz seltsamer Vogel. Er redet mit keinem Menschen, auch nicht mit Indianern. Warum sollte er sich ausgerechnet mit dir unterhalten? Du bist ein völlig Fremder! Du bist noch nicht einmal charmant!« Bill ärgerte sich offensichtlich über mich, obwohl ich nicht wusste, warum. Ich wagte nicht, ihn um eine Erklärung zu bitten. Ich hatte den Eindruck, er war ein wenig eifersüchtig. Vielleicht glaubte er, mir sei etwas gelungen, was ihm nicht möglich gewesen war. Mein Erfolg war so unvermutet gekommen, daß er mir nicht viel bedeutete. Mit Ausnahme von Bills wenigen Bemerkungen besaß ich keine Vorstellung davon, wie schwierig es war, diesen alten Mann kennen zulernen, und das war mir auch absolut gleichgültig. Damals fand ich nichts Bemerkenswertes an dem Gespräch. Es verblüffte mich, daß sich Bill so sehr darüber erregte. »Weißt du, wo er wohnt?« fragte ich ihn. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, antwortete er schroff. »Ich habe gehört, daß Leute aus dieser Gegend sagen, er hat überhaupt kein Haus. Er taucht einfach nur hier und da wie aus dem Nichts auf. Aber das ist natürlich Quatsch. Vermutlich lebt er in einer Hütte in Nogales, in Mexiko.«
»Warum ist er so wichtig?« fragte ich. Meine Frage gab mir genug Mut, um hinzuzufügen: »Du scheinst dich darüber zu ärgern, daß er mit mir gesprochen hat. Warum?«
Unumwunden gab er seinen Ärger zu und erklärte, er wisse, wie nutzlos jeder Versuch sei, mit diesem Mann zu eden. »Der Alte ist so unhöflich, wie ein Mensch es nur sein kann«, fügte er hinzu. »Bestenfalls sieht er einen wortlos an, wenn man mit ihm redet. Dann wieder würdigt er einen keines Blickes und behandelt einen, als sei man überhaupt nicht vorhanden. Das eine Mal, als ich mit ihm sprechen wollte, hat er mir unverschämt eine Abfuhr erteilt. Weißt du, was er zu mir gesagt hat? Er hat gesagt: >An deiner Stelle würde ich meine Kraft nicht damit verschwenden, den Mund aufzumachen. Spar dir deine Kraft. Du brauchst sie.< Wäre er nicht so ein alter Knacker gewesen, hätte ich ihm eine gescheuert.« Ich wies Bill darauf hin, es sei wohl ein Euphemismus zu behaupten, der Schamane sei »ein alter Mann«, und keineswegs eine zutreffende Beschreibung. Er schien nicht so alt zu sein, obwohl er eindeutig alt war. Er besaß eine unglaubliche Vitalität und Beweglichkeit. Ich dachte, Bill hätte bestimmt den kürzeren gezogen, wenn er versucht hätte, es mit ihm aufzunehmen. Der alte Indianer war stark, er war geradezu furchteinflößend. Ich behielt meine Gedanken für mich. Ich ließ Bill erzählen, wie sehr er sich über das unverschämte Benehmen des Alten geärgert habe und wie er ihn fertiggemacht hätte, wenn der alte Mann nicht so schwach gewesen wäre.
»Wer könnte mir deiner Meinung nach einen Hinweis darauf geben, wo er wohnt?« fragte ich ihn.
»Vielleicht ein paar Leute in Yuma«, erwiderte er ein wenig freundlicher. »Vielleicht wissen die Leute etwas, die du am Anfang unserer Fahrt kennengelernt hast. Es kostet nichts, wenn du sie fragst. Sag ihnen, daß ich dich geschickt habe.«
Ich änderte auf der Stelle meine Pläne. Ich kehrte nicht nach Los Angeles zurück, sondern fuhr geradewegs nach Yuma, Arizona. Ich ging zu den Leuten, die ich durch Bill kennengelernt hatte. Sie wussten nicht, wo der alte Indianer lebte, aber ihre Äußerungen machten mich noch neugieriger. Sie sagten, er komme nicht aus Yuma, sondern aus Sonora, Mexiko. In jungen Jahren sei er ein gefährlicher Zauberer gewesen, der Beschwörungen benutzte und Leute verhexte. Im Alter sei er jedoch freundlicher geworden und lebe jetzt als asketischer Einsiedler. Sie sagten auch, er sei zwar ein Yaqui-Indianer, aber er habe zu einer Gruppe von Mexikanern gehört, die offenbar sehr große Zauberkenntnisse besaßen. In einer Hinsicht waren sie sich völlig einig: Sie hatten diese Männer seit sehr langer Zeit nicht mehr in der Gegend von Yuma gesehen.
Einer der Indianer fügte hinzu, der alte Schamane sei
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