Das Wirken der Unendlichkeit
ebenso alt wie sein Großvater. Der Großvater sei senil und bettlägerig, der Schamane hingegen wirke vitaler als je zuvor. Diese Indianer gaben mir auch die Namen von ein paar Leuten in Hermosillo, der Hauptstadt von Sonora, die den Alten möglicherweise kannten und in der Lage sein würden, mir mehr über ihn zu sagen. Die Aussicht, nach Mexiko fahren zu müssen, gefiel mir überhaupt nicht. Sonora lag zu weit entfernt von meinem Interessengebiet. Außerdem sagte ich mir, es wäre besser, ich würde mich doch auf städtische Anthropologie konzentrieren. Deshalb fuhr ich nach Los Angeles zurück. Vor meiner Abfahrt erkundete ich die Gegend um Yuma und versuchte, mehr Informationen über den alten Schamanen zu erhalten. Aber niemand wusste etwas über ihn.
Im Bus nach Los Angeles erlebte ich etwas höchst Außergewöhnliches. Einerseits fühlte ich mich völlig befreit von der Besessenheit mit wissenschaftlicher Feldarbeit und meinem Interesse an dem alten Mann. Andererseits erfüllte mich eine seltsame Schwermut. So etwas hatte ich in der Tat noch nie erlebt. Das Neue daran erschütterte mich sehr. Es war eine Mischung aus Angst und Sehnsucht, als fehle mir etwas, das eine unglaubliche Bedeutung besaß. Ich hatte den deutlichen Eindruck, während ich mich Los Angeles näherte, daß das, was mich in Yuma beeinflußt hatte, mit wachsender Entfernung verblaßte. Das Entschwinden aber verstärkte nur meine durch nichts zu rechtfertigende Sehnsucht.
Das Wollen der Unendlichkeit
»Ich möchte, daß du genau über alles nachdenkst, was sich zwischen dir und diesen beiden Männern, Jörge Campos und Lucas Coronado, ereignet hat«, sagte Don Juan zu mir. »Sie haben dich zu mir gebracht. Wenn du damit fertig bist, erzählst du mir alles darüber.« Ich fand seine Aufgabe sehr schwer, andererseits machte es mir Spaß, mich an das zu erinnern, was die beiden zu mir gesagt hatten. Don Juan wollte, daß ich keine Einzelheit ausließ. Das zwang mich, meinem Erinnerungsvermögen alles abzuverlangen.
Die Geschichte, an die ich mich auf Don Juans Geheiß erinnern sollte, begann in der Stadt Guaymas, in Sonora, Mexiko. In Yuma, Arizona, hatte man mir die Namen und Adressen von einigen Leuten gegeben, die, so sagte man mir, vielleicht in der Lage seien, Licht in das Dunkel zu bringen, das den alten Schamanen umgab, dem ich im Busbahnhof begegnet war. Die Leute, zu denen ich ging, kannten keinen zurückgezogen lebenden alten Schamanen. Sie bezweifelten sogar, daß es einen solchen Mann überhaupt gab. Sie erzählten jedoch jede Menge haarsträubender Geschichten über Yaqui-Schamanen und über die grundsätzlich feindselige Haltung der Yaqui-Indianer. Sie gaben mir schließlich zu verstehen, daß ich vielleicht in Vicam, einer Bahnstation zwischen Guaymas und Ciudad Obregon, jemanden finden könnte, der mich in die richtige Richtung weisen würde. »Gibt es dort jemanden, an den ich mich wenden könnte?« fragte ich. »Am besten wendest du dich an einen der Inspektoren der Staatsbank«, meinte einer der Männer. »Die Bank hat viele Inspektoren. Sie kennen alle Indianer in dieser Gegend, denn die Bank ist die staatliche Stelle, die ihre Ernten aufkauft. Jeder Yaqui-Indianer ist Bauer - Besitzer eines Stücks Land, das ihm gehört, solange er es bewirtschaftet.«
»Kennt ihr einen der Inspektoren?« fragte ich. Sie sahen sich an und lächelten entschuldigend. Sie kannten keinen der Beamten, aber sie rieten mir nachdrücklich, einen der Inspektoren anzusprechen und ihm meinen Fall vorzutragen.
In Vicam waren meine Versuche, durch die Inspektoren der Staatsbank etwas zu erfahren, zum Scheitern verurteilt. Ich unterhielt mich mit dreien dieser Männer. Als ich ihnen sagte, was ich wollte, sahen sie mich mit größtem Mißtrauen an. Sie hielten mich für einen Spion der Yankees, der den Auftrag hatte, Probleme zu schaffen, die sie nicht genau benennen konnten, über die sie jedoch die wildesten Spekulationen anstellten - angefangen von politischer Agitation bis hin zu Industriespionage. In der Gegend lebten alle in dem unbegründeten Glauben, auf dem Land der Yaqui gebe es Kupfervorkommen, und die Yankees wollten sie ausbeuten. Nach diesem Fehlschlag fuhr ich nach Guamaymas und ging in ein Hotel, in dessen Nähe sich ein hervorragendes Restaurant befand. Ich aß dort dreimal täglich. Die Mahlzeiten waren ausgezeichnet. Das Restaurant gefiel mir so gut, daß ich über eine Woche in Guaymas blieb. Ich lebte praktisch in dem
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