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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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ich zum Beispiel ein paar Indianer zu einem Beschwörungsritual. Sie wollten mich tatsächlich auf eine sehr schmerzvolle Weise einweihen, indem sie mir die Brustmuskeln durchstachen. Sie bereiteten im Wald eine Schwitzhütte vor. Ich hatte mich damit abgefunden, die Schmerzen ertragen zu müssen. Ich trank ein paar Schluck, um die nötige Kraft zu haben. Und dann schrie der Mann, der bei den Indianern, die das eigentliche Ritual durchführten, für mich vermitteln wollte, plötzlich vor Entsetzen und deutete auf eine dunkle, schattenhafte Gestalt, die sich uns näherte. Als die schemenhafte Gestalt in meiner Nähe war«, fuhr Bill fort, »stellte ich fest, daß es ein alter Indianer in dem merkwürdigsten Aufzug war, den man sich vorstellen kann, mit allem Drum und Dran eines Schamanen. Der Mann, der mich in jener Nacht begleitete, fiel beim Anblick des alten Indianers schamlos in Ohnmacht. Der alte Indianer trat zu mir und deutete mit dem Finger auf meine Brust. Sein Finger bestand nur aus Haut und Knochen. Er murmelte unverständliches Zeug. Inzwischen hatten auch alle anderen den Alten gesehen und eilten geräuschlos herbei. Der alte Indianer drehte sich um und sah sie an. Sie erstarrten. Er sagte etwas zu ihnen. Seine Stimme war unvergeßlich. Er schien wie durch ein Rohr zu sprechen, oder als sei etwas am Mund befestigt, aus dem seine Worte hervorkamen. Ich schwöre dir, ich habe gesehen, wie der Mann im Innern seines Körpers sprach. Der Mund war wie eine mechanische Vorrichtung, die seine Worte übertrug. Nach seiner Rede ging der Alte an mir und an den anderen vorbei. Er verschwand in der Dunkelheit, die ihn verschluckt zu haben schien.« Bill sagte, aus der Einweihungszeremonie wurde nichts. Sie fand nie statt, und alle Männer, auch die anwesenden Schamanen, zitterten wie Espenlaub. Er erklärte, sie hatten solche Angst, daß sie alles stehen und liegen ließen und einfach davonliefen.
    »Leute, die seit Jahren Freunde gewesen waren«, berichtete er, »sprachen danach nicht mehr miteinander. Sie behaupteten, sie hätten die Erscheinung eines unglaublich alten Schamanen gesehen, und es bringe Unglück, darüber zu sprechen. Sie sagten, es würde bereits genügen, daß sie sich überhaupt noch einmal sahen, um ein großes Unglück heraufzubeschwören. Die meisten verließen die Gegend.« »Warum glaubten se, es würde ihnen Unglück bringen, wenn sie miteinander reden oder wenn sie sich sehen würden?« wollte ich wissen.
    »Das ist ihr Glaube«, antwortete er. »Eine Vision dieser Art bedeutet für sie, daß die Erscheinung zu jedem von ihnen einzeln gesprochen hat. Für sie ist eine Vision dieser Art ein Glück, das einem nur einmal im Leben widerfährt.«
    »Und was hat die Erscheinung jedem von ihnen gesagt?« fragte ich.
    »Keine Ahnung«, erwiderte er. »Sie haben mir nie etwas darüber gesagt. Jedesmal, wenn ich sie fragte, wurden sie einfach taub. Sie hatten nichts gesehen und nichts gehört. Viele Jahre nach dem Ereignis beteuerte mir der Mann, der damals in Ohnmacht gefallen war, er habe die Bewusstlosigkeit nur vorgetäuscht, weil er solche Angst gehabt hätte, daß er den Alten nicht ansehen wollte. Und das, was der alte Indianer zu sagen hatte, verstanden alle auf einer anderen Ebene, nicht auf der Ebene der Sprache.«
    Bill sagte, was die Erscheinung zu ihm gesagt hatte, habe etwas mit seiner Gesundheit und seinen Lebenserwartungen zu tun gehabt.» »Was meinst du damit?« fragte ich. »Es steht nicht gut um mich«, gestand er. »Körperlich geht es mir nicht gut.«
    »Aber weißt du, was mit dir los ist?« fragte ich. »O ja«, erwiderte er leichthin. »Die Ärzte haben es mir gesagt. Aber ich mache mir deshalb keine Sorgen. Ich denke noch nicht einmal darüber nach.«
    Bills Worte bereiteten mir großes Unbehagen. Diese Seite kannte ich nicht an ihm.
    Ich hatte immer geglaubt, er sei ein hartgesottener Bursche. Ich konnte ihn mir einfach nicht verletzlich vorstellen. Das Gespräch gefiel mir nicht. Für einen Rückzug war es jedoch zu spät. Wir setzten unsere Fahrt fort.
    Bei einer anderen Gelegenheit vertraute er mir an, die Schamanen im Südwesten seien in der Lage, sich in andere Wesen zu verwandeln, und man dürfe die Kategorisierung in »Bären-Schamane« oder »Puma-Schamane« etc. nicht als Umschreibung oder Metapher verstehen, denn genau das sei es nicht.
    »Kannst du es glauben«, sagte er mit großer Bewunderung in der Stimme, »daß sich manche Schamanen tatsächlich in Bären,

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