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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Berglöwen oder Adler verwandeln? Ich übertreibe nicht, und ich erzähle auch keine Märchen, wenn ich sage, daß ich einmal Zeuge der Verwandlung eines Schamanen gewesen bin, der sich >Fluß-Mensch< oder >Fluß-Schamane< oder >Vom Fluß kommend, zum Fluß zurückkehrend< nannte. Ich war mit diesem Schamanen in den Bergen von New Mexico. Ich habe ihn gefahren. Er hat mir vertraut. Er sei auf der Suche nach seinem Ursprung, sagte er. Wir gingen an einem Fluß entlang, als er plötzlich sehr aufgeregt wurde. Er befahl mir, das Ufer zu verlassen und auf einen hohen Felsen zu klettern. Dort sollte ich mich verstecken, eine Decke über Kopf und Schulter ziehen und nur durch einen Spalt hindurch sehen, damit mir nicht entgehen würde, was er zu tun gedachte.«
    »Was wollte er tun?« fragte ich voll Neugier. »Ich wusste es nicht«, sagte Bill. »Du hättest es an meiner Stelle genau sowenig wie ich erraten können. Ich konnte mir absolut nicht vorstellen, was er vorhatte. Er ging einfach ins Wasser und zwar völlig angekleidet. Es war ein breiter flacher Fluß, und als das Wasser seine Wade erreicht hatte, löste sich der Schamane einfach in Luft auf und verschwand. Bevor er ins Wasser ging, hatte er mir noch ins Ohr geflüstert, ich sollte weiter unten am Ufer auf ihn warten. Er nannte mir die genaue Stelle, an der ich ihn erwarten sollte. Ich glaubte ihm natürlich kein Wort. Deshalb konnte ich mich zuerst nicht daran erinnern, wo ich ihn erwarten sollte. Aber dann entdeckte ich die Stelle und sah, wie der Schamane aus dem Wasser kam. Es klingt blöd zu sagen >aus dem Wasser kommen<. Ich habe gesehen, wie sich der Schamane in Wasser verwandelt hat und dann wieder aus Wasser neu geschaffen wurde. Kannst du das glauben?«
    Ich konnte keinen Kommentar zu der Geschichte abgeben. Es war mir unmöglich, Bill zu glauben, aber ebenso unmöglich konnte ich ihm nicht glauben. Mein Freund war ein ernstzunehmender Mann. Die einzige Erklärung, die ich hatte, war, daß er auf unserer Fahrt Tag für Tag mehr trank. Im Kofferraum des Wagens befand sich eine Kiste mit vierundzwanzig Whiskyflaschen, die nur für ihn bestimmt waren. Er trank wie ein Fisch. »Ich hatte schon immer eine besondere Vorliebe für die geheimnisvollen Verwandlungen der Schamanen«, erklärte er an einem anderen Tag. »Es ist nicht so, daß ich die Verwandlungen erklären kann oder daß ich glaube, sie finden wirklich statt, aber als eine intellektuelle Übung interessiert mich die Vorstellung sehr, daß die Verwandlung in Schlangen oder Berglöwen nicht so schwierig ist wie das, was der Wasser-Schamane getan hat. In Augenblicken, wenn ich meinen Intellekt für solche Dinge benutze, höre ich auf, Anthropologe zu sein. Ich fange an zu reagieren und folge einem Bauchgefühl. Mein Bauch sagt mir, daß diese Schamanen ganz bestimmt etwas tun, das wissenschaftlich nicht messbar ist, über das man noch nicht einmal vernünftig reden kann.
    Es gibt zum Beispiel Wolken-Schamanen, die sich in Wolken verwandeln, in Nebel. Ich habe das nie selbst beobachtet, aber ich kannte einen Wolken-Schamanen. ch habe nie gesehen, daß er verschwand oder sich vor meinen Augen in Dunst verwandelte, so wie ich gesehen habe, daß sich jener andere Schamane direkt vor mir in Wasser verwandelte. Aber ich habe den Wolken-Schamanen einmal verfolgt, und er war plötzlich einfach verschwunden, und das in einer Gegend, wo es nichts gab, wo er sich hätte verstecken können. Obwohl ich nicht gesehen habe, wie er sich in eine Wolke verwandelte, war er verschwunden. Ich konnte mir nicht erklären, wo er sein könnte. Dort, wo er zuletzt gewesen war, gab es keine Felsen, keine Vegetation. Ich erreichte die Stelle eine halbe Minute später, aber der Schamane war verschwunden. Ich habe den Mann überallhin verfolgt, um Informationen von ihm zu bekommen«, fuhr Bill fort. »Er ließ sich jedoch nichts entlocken. Er war sehr freundlich, aber mehr auch nicht.«
    Bill erzählte mir zahllose andere Geschichten über die Kämpfe und die politischen Gruppierungen der Indianer in den verschiedenen Reservaten oder Geschichten von persönlicher Rache, von Feindschaften, Freundschaften, etc.. etc. Das alles interessierte mich überhaupt nicht. Andererseits hatten seine Geschichten über die Verwandlungen und Erscheinungen der Schamanen bei mir ein richtiges emotionales Erdbeben ausgelöst. Die Schamanen faszinierten und erschreckten mich gleichzeitig. Wenn ich jedoch darüber nachdachte, warum das so war,

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