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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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Quatsch! Dort wird man noch nicht einmal auf die Schwierigkeiten des Lebens vorbereitet.« Als ich erklärte, ich würde gerne an der UCLA studieren, wurde sie noch wütender.
    »Such dir lieber eine vernünftige Arbeit!« rief sie. »Geh und stell dich von acht bis fünf dem Leben und hör endlich mit dem ewigen Gerede auf! Das Leben bedeutet, eine Arbeit von acht bis fünf, vierzig Stunden die Woche! Stell fest, was dann mit dir los ist! Sieh mich an. Ich habe die beste Ausbildung, und ich bin untauglich für irgendeine Arbeit.«
    Ich wusste nur, daß ich noch nie einen so schönen Ort gesehen hatte. Ich gab mir selbst das Versprechen, unter allen Umständen an der UCLA zu studieren. Mein Wunsch hatte natürlich sehr viel mit mir selbst zu tun. Er war jedoch nicht von unmittelbarer Wunschbefriedigung getrieben, sondern vielmehr von einer Art Ehrfurcht. Ich erzählte Don Juan, der Ärger meiner Freundin habe so verletzend auf mich gewirkt, daß ich gezwungen gewesen sei, sie in einem anderen Licht zu sehen. Soweit ich mich erinnern konnte, war es das erste Mal, daß eine Äußerung in mir eine so tiefgehende Reaktion ausgelöst hatte. Ich entdeckte gewisse Seiten an meiner Freundin, die ich zuvor nicht gesehen hatte und die mich zutiefst erschreckten.
    »Ich glaube, ich habe sie schrecklich verurteilt«, sagte ich zu Don Juan. »Nach dem Besuch auf dem Campus haben sich unsere Wege getrennt. Es war, als habe sich die UCLA wie ein Keil zwischen uns geschoben. Ich weiß, es ist dumm, so etwas zu denken.«
    »Es ist nicht dumm«, antwortete Don Juan. »Es war eine sehr begründete Reaktion. Ich bin sicher, bei deinem Gang über den Campus hattest du eine Begegnung mit dem Wollen. Du wolltest dort sein, und du musstest alles loslassen, was dem Wollen entgegenstand. Du darfst nicht übertreiben«, fuhr er fort. »Die Berührung eines Krieger-Wanderers ist leicht, aber kultiviert. Die Hand des Krieger-Wanderers ist zu Beginn eine schwere, zupackende eiserne Hand und wird schließlich so leicht wie die Hand eines Geistes, eine Hand wie aus einem zarten Gespinst. Krieger-Wanderer hinterlassen keine Zeichen, keine Spuren. Das ist die Herausforderung für KriegerWanderer.«
    Don Juans Bemerkungen lösten bei mir einen Zustand großer Verdrießlichkeit aus. Ich machte mir Selbstvorwürfe, denn von den wenigen Fällen, an die ich mich erinnert hatte, wusste ich, daß ich äußerst schwerfällig, besitzergreifend und dominant war. Ich berichtete Don Juan von meinen Grübeleien.
    »Die Macht der Rekapitulation«, sagte Don Juan, »liegt darin, daß sie den Müll deines ganzen Lebens aufrührt und an die Oberfläche bringt.«
    Dann beschrieb Don Juan die Feinheiten von Bewusstsein und Erkenntnisfähigkeit als die Grundlagen der Rekapitulation. Er begann damit, daß er sagte, er werde mir eine Reihe von Konzepten darlegen, die ich unter keinen Umständen für Theorien von Zauberern halten sollte, denn es seien Konzepte, die von den Schamanen des alten Mexiko als Folge der Tatsache gefunden wurden, daß sie Energie direkt sahen, wie sie im Universum fließt. Er machte mich darauf aufmerksam, daß er mir die einzelnen Konzepte ohne den Versuch einer Klassifizierung oder einer vorgegebenen systematischen Reihenfolge darlegen werde.
    »Klassifizierungen interessieren mich nicht«, fuhr er fort. Du hast dein Leben lang alles klassifiziert. Jetzt wirst du gezwungen, Klassifizierungen zu vermeiden. Als ich dich neulich fragte, ob du etwas über Wolken weißt, hast du mir die Namen aller Wolkenarten aufgezählt und den Prozentsatz an Feuchtigkeit, den man bei jeder von ihnen erwarten kann. Du warst ein echter Meteorologe. Aber als ich dich fragte, ob du weißt, was du persönlich mit Wolken machen kannst, hattest du keine Ahnung, wovon ich redete.
    Klassifizierungen haben eine eigene Welt. Wenn du anfängst, etwas zu klassifizieren, wird die Klassifizierung lebendig und beherrscht dich. Aber da Klassifizierungen von Anfang an nie Energie gespendet haben, bleiben sie immer wie tote Klötze. Sie sind keine Bäume, sie sind lediglich Holzklötze.«
    Er erklärte, daß die altmexikanischen Zauberer sahen, daß das ganze Universum aus Energiefeldern in Form leuchtender Fasern besteht. Wo immer sie sich hinwandten, sahen sie Milliarden davon. Und sie sahen, daß sich diese Energiefelder zu Strömen leuchtender Fäden ordnen, die konstante, nie versiegende Kräfte des Universums sind. Die Zauberer nannten den Strom oder den Fluß der Fasern, der

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