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Das Wirken der Unendlichkeit

Das Wirken der Unendlichkeit

Titel: Das Wirken der Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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nichts mit dem Bewusstsein zu tun, das ein Fremdkörper ist. Laß die Geschwindigkeit von deinem wahren Bewusstsein sich selbst regeln. Sei still und reg dich nicht auf, ganz gleich, was geschieht.«
    »Aber Don Juan, ist das alles möglich? Kann man Energie wie einen Text lesen?« fragte ich, überwältigt von dieser Vorstellung.
    »Natürlich ist es möglich!« erwiderte er. »h deinem Fall ist es nicht nur möglich, es geschieht.« »Wieso soll ich Energie lesen, als wäre sie ein Text?« fragte ich hartnäckig - aber die Hartnäckigkeit war rhetorisch.
    »Das ist dein übertriebener Hang dazu«, sagte er. »Wenn du den Text liest, könntest du ihn wörtlich wiederholen. Solltest du allerdings versuchen, anstelle eines Lesers der Unendlichkeit ein Betrachter der Unendlichkeit zu sein, würdest du feststellen, daß du nicht beschreiben könntest, was du siehst, und du würdest ungereimtes Zeug reden und unfähig sein, die Dinge in Worte zu fassen, deren Zeuge du bist. So wäre es auch, wenn du versuchen würdest, die Energie zu hören. Es ist ohnehin die Unendlichkeit, die entscheidet. Der Krieger-Wanderer fügt sich einfach der Entscheidung.
    Aber vor allem«, fuhr er nach einer wohlberechneten Pause fort, »laß dich nicht von dem Ereignis überwältigen, weil du es nicht beschreiben kannst. Es ist ein Ereignis jenseits der Syntax unserer Sprache.«
     

 
Wanderungen auf dem dunklen Meer des Bewusstseins
    »Jetzt können wir etwas deutlicher über die innere Stille sprechen«, sagte Don Juan. Seine Feststellung entsprach so wenig dem Zusammenhang, daß sie mich alarmierte. Don Juan hatte den ganzen Nachmittag über die Schicksalsschläge der Yaqui-Indianer nach den großen Yaqui-Kriegen der zwanziger Jahre gesprochen, als die mexikanische Regierung die Yaqui aus ihrem angestammten Gebiet im Staat Sonora im nördlichen Mexiko deportierte und sie in den Zuckerrohrplantagen von Zentral- und Südmexiko arbeiten mussten. Die mexikanische Regierung hatte viele Jahre Probleme mit lokalen Kriegen gegen die Yaqui-Indianer gehabt. Don Juan erzählte mir einige erschreckende und bittere Geschichten von politischen Intrigen und Verrat, von Entbehrungen und menschlichem Elend. Ich hatte das Gefühl, daß mich Don Juan auf etwas vorbereitete, denn er wusste, daß diese Geschichten sozusagen >Wasser auf meine Mühlen< waren. Ich hatte zu dieser Zeit eine übertriebene Auffassung von sozialer Gerechtigkeit und Anstand.
    »Die Verhältnisse deiner Umgebung haben dir zu mehr Energie verhelfen«, fuhr er fort. »Du hast mit der Rekapitulation deines Lebens begonnen. Du hast dir deine Freunde zum ersten Mal so angesehen, als stünden sie in einem Schaufenster. Du hast ganz allein, nur getrieben von deinen eigenen Bedürfnissen, deine Krise erreicht. Du hast dein Geschäft aufgelöst, und vor allem hast du genug innere Stille in dir angesammelt. All das ermöglichte dir eine Wanderung auf dem dunklen Meer des Bewusstseins. Das Treffen mit mir in der Stadt war diese Wanderung«, fuhr er fort. »Ich weiß, daß eine entscheidende Frage beinahe in dein Bewusstsein gedrungen war und du dich einen Augenblick lang gefragt hast, ob ich wirklich in deiner Wohnung gewesen sei. Daß ich kam, um dich zu sehen, war für dich kein Traum. Es war Wirklichkeit, nicht wahr?«
    »Du warst so real, wie nur etwas real sein kann«, erwiderte ich.
    Ich hatte diese Vorfälle beinahe vergessen, doch ich erinnerte mich daran, daß es mir seltsam vorgekommen war, daß er meine Wohnung gefunden hatte. Ich hatte mein Staunen einfach dadurch beiseite geschoben, daß ich annahm, Don Juan habe jemanden nach meiner neuen Adresse gefragt. Hätte man mich allerdings dazu gedrängt, wäre ich nicht in der Lage gewesen, jemanden zu nennen, der wusste, wo ich wohnte. »Laß uns diesen Punkt klären«, erwiderte Don Juan. »In meinen Begriffen, und das sind die Begriffe der Zauberer des alten Mexiko, hätte ich nicht realer sein können, und ich bin aus meiner inneren Stille heraus in deine Wohnung gekommen, um dich von der Bedingung der Unendlichkeit in Kenntnis zu setzen und dir zu sagen, daß deine Zeit bald abgelaufen sein würde. Du bist deinerseits aus deiner inneren Stille heraus wirklich in diese Stadt deiner Wahl gegangen, um mir zu sagen, daß du es geschafft hattest, die Bedingung der Unendlichkeit zu erfüllen.
    In deinen Begriffen, und das sind die Begriffe des durchschnittlichen Menschen, handelte es sich in beiden Fällen um eine Traumphantasie. Du

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